Europawahlkampf in Polen: Kreuze und Bananen

Kulturkrieg: Die katholische Kirche und die regierende Partei gehen hart gegen LGBTQ und feministische Kunst vor.

Menschen halten angebissene Bananen hoch

Bananen essen für freie Kunst und Sexualität – die Kirche und PiS haben was dagegen Foto: ap

Wir verurteilen die Zensur und die Repressionen im heutigen Polen. Als offene und stolze Gays werden wir verteufelt. Wir erleben einen Klimax der Homophobie, einen Orgasmus des Vorurteils gegenüber feministischer Kunst. In Lublin haben wir uns an der Koordination von Massenprotesten gegen Zensur beteiligt und wir haben gegen den Ukas des Regionalrats von Lublin protestiert, das Lublin zu einer LGBTQ-freien Provinz machen soll.

Initiiert wurde dieser Beschluss von der Lubliner PiS-Chefin Elzbieta Kruk, die zugleich Spitzenkandidatin der PiS-Liste fürs Europaparlament ist. Das Vorhaben, eine Provinz für „LGBTQ-frei“ zu erklären, erinnert uns an die Begrifflichkeit der deutschen Behörden während des Zweiten Weltkriegs, die Gebiete als „judenrein“ deklarierten. Odilo Globocnik koordinierte in Lublin damals die Aktion Reinhardt. Wir fühlen uns entmenschlicht.

Die rechtsnationalistische Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit, PiS, führt eine brutale, massive Offensive gegen die Kultur als solche. Alles, was sich außerhalb ihrer engen, nationalistischen und fundamentalistischen Agenda befindet, wird von ihr angegriffen. Alles! In den Köpfen der Apparatschiks von Partei und Kirche hat die Aufklärung nie stattgefunden, die europäischen Standards von Bürgerrechten, Gleichheit und Diversität erscheinen ihnen als Verirrung. In Polen hat ein Übergang stattgefunden von einem falschen Kommunismus zu einem falschen Christentum. Die Lage ist irreal.

Seit PiS im Jahr 2015 die Wahl gewann, werden Museen dazu gezwungen, ultranationalistische Ausstellungen über das Märtyrertum und das Opfer in der polnischen Geschichte zu zeigen. Es gab inzwischen Dutzende solcher Schauen, in denen Meisterwerke polnischer Kunst dazu benutzt wurden, eine chauvinistische Ideologie zu beglaubigen. Das Konzept der Nation ist zum wichtigsten künstlerischen Kriterium für Kunst in staatlichen Kulturinstitutionen geworden. Anhand dieses Kriteriums wird entschieden, ob Kunstwerke, Ausstellungen oder Filme gefördert werden.

Als erstes wurde feministische Kunst abgehängt

Jene Kulturinstitutionen, die nicht gehorchen, werden bestraft, indem ihre Leiter entlassen oder staatliche Zuschüsse gekürzt werden. Die zweite Bestrafung trifft vor allem Theater, die erste Museen. Bezeichnend ist dabei, dass auch Frauenrechte und die Kunst von Frauen unter ständigem Beschuss stehen.

Eine Provinz für „LGBT-frei“ zu erklären, erinnert uns an die Begrifflichkeit der deutschen Behörden während der Besatzung

Im Eifer des Wahlkampfs zum Europäischen Parlament leiten PiS-Funktionäre direktere Zensurmaßnahmen ein. Der neu berufene Direktor des Nationalmuseums in Warschau, Jerzy Miziołek, ein Archäologe, kein Kunsthistoriker, begann seine Tätigkeit damit, den renommierten Kunsthistoriker Piotr Rypson zu feuern und die von Rypson kuratierte permanente Schau moderner polnischer Kunst zu zerstören. Als erstes wurde feministische erotische Kunst abgehängt.

Darunter befand sich das Werk „Konsumentenkunst“ (1972–1974) einer der Pionierinnen feministischer Kunst in Europa, Natalia LL. Es besteht aus einer Serie von Fotografien und einem Video, die blonde Frauen zeigen, die Bananen essen. Die Arbeit erzählt vom Fehlen von Konsumgütern im Kommunismus, der Verdinglichung von Frauen und Kunst und natürlich vom Begehren und von den Freuden des Oralsex’, der im puritanischen Kommunismus ein Tabu war.

Selfies mit Bananen

Dank der Wachsamkeit der Zivilgesellschaft ging dieser Akt der Zensur nach hinten los. Viele Polen posteten Selfies, auf denen sie Bananen aßen, in den sozialen Medien. Tausende fanden sich vor Museen und Galerien zusammen und aßen öffentlich und lasziv Bananen. So demonstrierten sie für freie Kunst und Sexualität. Der Druck wurde so groß, dass Museumsdirektor Miziołek die entfernten feministischen Kunstwerke wieder aufhängen musste. Der Kulturminister sah sich zur Erklärung genötigt, diese Intervention sei nicht von ihm angeordnet worden. Stattdessen soll nun die gesamte Ausstellung neu konzipiert werden, ohne „Genderthemen“ und mit der Absicht, die Größe polnischer Malerei zu feiern.

Kaum war Banana-Gate vorbei, wurden die Polen vor einigen Tagen Zeugen eines noch repressiveren Akts. In der Stadt Plock wurde die bekannte Aktivistin Elzbieta Podlesna verhaftet, ihre Wohnung wurde durchsucht. Sie hatte Poster und Sticker der Schwarzen Madonna von Tschenstochau mit einem Heiligenschein in Regenbogenfarben verteilt.

Das Platzieren der Farben der LGBTQ-Gemeinde im Kontext von Jungfrau Maria und Jesus wurde vom Justizministerium als Profanation und Verletzung des notorischen Artikels 194 des polnischen Strafrechts eingeschätzt, der Strafen für die Verletzung religiöser Gefühle vorsieht. Podlesna drohen zwei Jahre Haft. Viele Polen reagierten darauf, indem sie das Bild der Regenbogenmadonna im Netz posteten und sich wieder zu Demonstrationen zusammen fanden.

Das kontroverse Bild ist eine schöne Collage, das die Symbole von Mutterschaft, Toleranz und Diversität mit dem Christentum verbindet – in einem Land, in dem die katholische Kirche nicht länger christliche Werte repräsentiert, sondern rein politisch als Unterstützerin der PiS und ihres zunehmend faschistischen Regimes agiert. Diese Situation erinnert an das Verhältnis der russisch-orthodoxen Kirche zu Putin.

LGBTQ als „schwerste Sünde“

Vor der Europawahl haben PiS und katholische Kirche die LGBTQ-Community zum Feind Nummer eins erklärt. Nicht nur die Lubliner, auch andere regionale PiS-Politiker erklären in ihren Wahlkampagnen ihre Regionen zu „LGBTQ-freien Zonen“. Die zukünftigen PiS-Abegeordneten im EU-Parlament wollen ganz Europa von der „LGBTQ-Agenda“ befreien. In den Kirchen wurden zu Ostern Gender und LGBTQ zu den schwersten Sünden gezählt. Zugleich bezeichnen polnische Kirchenobere die wenigen Priester, die in Polen überhaupt wegen des Missbrauchs Minderjähriger bestraft werden, schamlos als „Märtyrer“.

All das geschieht vor unseren Augen im 21. Jahrhundert. Die Situation noch als Kulturkampf zu bezeichnen, wird der Sache nicht mehr gerecht. Es handelt sich um einen Krieg gegen die Kultur, gegen die Freiheit und gegen die Diversität im Namen von nichts. Dahinter steht lediglich die Hybris einer politischen und pseudoreligiösen Macht, die weder Scham noch Reue kennt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.