Sprüche so genial wie das Leben

Die Aktivisten von „Loesje“ kommentieren auf Plakaten im öffentlichen Raum die Welt, ohne zynisch zu werden. Ihr Hauptquartier haben sie jetzt von den Niederlanden nach Treptow verlegt

VON FRAUKE ADESIYAN

„Der Psychiater sagt, ich soll meinen Optimismus besser kontrollieren.“ Der kleine weiße Aufkleber mit schnörkelloser schwarzer Schrift klebt auf einem grünen Glascontainer an der Treptower Karl-Kunger-Straße. Unter dem Spruch steht in geschwungenen Buchstaben die Unterschrift „Loesje“. Das sagt den meisten Passanten wenig – doch das will Loesje ändern. Deshalb zieht sie ein paar Häuser weiter in die Karl-Kunger-Straße 55.

Es ist ein langwieriger Umzug, denn Loesje kommt aus den Niederlanden. Sie möchte daher „Luhsche“ ausgesprochen werden. Hinter dem niederländischen Mädchen versteckt sich eine internationale Gruppe. Auf sie passt der Spruch an Glascontainer: Es sind Idealisten und Optimisten, Menschen, die die Welt kommentieren wollen, ohne zynisch zu werden.

Am 24. November 1983 wurde Loesje von eben solchen Menschen im niederländischen Arnhem auf die Welt gebracht. Hausbesetzer hatten genug von dem negativen Image der linken Szene, sie wollten konstruktiv und persönlich an die Öffentlichkeit treten. So trafen sie sich in kleinen Gruppen und texteten drauf los. Die entstandenen Sprüche wurden auf Plakaten in den Städten verteilt. Auf diese Art gehen die Aktivisten aus heute noch vor, so soll es vor allem vermehrt in Deutschland funktionieren.

Einer der Ersten, die in Deutschland Loesje getroffen haben, ist Max. Max heißt eigentlich Christian Vähling und ist diplomierter Sozialwissenschaftler und Comiczeichner. Der 35-jährige Bremer weiß, dass es schwierig ist mit Loesje in Deutschland: „Loesje versucht seit 15 Jahren in Deutschland anzukommen, aber sie hat hier nie richtig Fuß gefasst.“ Vielleicht liegt das an der umwerfend positiven Grundeinstellung der inzwischen 21-jährigen Niederländerin, die die Deutschen – so scheint es – nicht ganz verstehen. Loesje versucht mit ihren Sprüchen auch an negativen Entwicklungen etwas Positives zu entdecken. Sie schreibt ungewöhnlich und kreativ – und meist mit absurdem Humor.

„Gute Urlaubsplanung: Im Kofferraum noch Platz für einen Flüchtling lassen“, steht auf einem der vielen Plakate in Loesjes neuer Bleibe. Die Wände sind voller Poster und Fotos, ansonsten ist der Ladenraum mit den grünen Fensterrahmen ist noch ziemlich leer. In der Mitte stehen zwei Tische, darauf stapeln sich Plakate und zusammengelegte Stoffbanner. In einer Ecke liegt eine aufgeblasene Weltkugel, daneben stehen zwei bunt bemalte Liegestühle.

Am Tisch sitzt Doeko Pinxt: Er ist mit Loesje aus den Niederlanden nach Berlin gekommen. Pinxt redet leise und lacht sehr viel. „Ich mag Berlin, es ist sehr fortschrittlich. Vielleicht die fortschrittlichste Stadt der Welt“, schwärmt er. Sehr bewusst habe sich Loesje für diesen Ort in der Karl-Kunger-Straße entschieden. Natürlich spielt auch die Miete eine Rolle, aber Loesje wollte gar nicht in eine Gegend, in der jede Woche Galerien ein- und ausziehen. „In Mitte ist alles so hip, das wollen wir aber nicht sein. Loesje ist lieber in einer Gegend, in der nicht so viel passiert“, erzählt Doeko. Sie wird sich wohl fühlen mit dem Gebrauchtwagenhändler in der Baulücke nebenan und dem Bäcker gegenüber, der noch Altberliner Schrippen verkauft.

Dass sie nun genau dort residiert, wo sich früher die Mauer ausbreitete, ist für Loesje mehr als nur ein schöner Zufall. Schließlich trat sie 1989 genau hier ihre erste große Reise ins Ausland an. Damals klebte eine Gruppe von 25 Loesje-Freunden Plakate an die Mauer und schlug sich in ihrer „Roter Pfeffer“-Reise durch die Länder im Osten Europas. Loesje eroberte Slowenien, Estland, die Slowakei und Russland, ganz friedlich mit optimistischen Texten und Plakaten.

Doch Loesje verbreitet auch Skepsis. Dass sie sich nicht in eine bestimmte politische Gruppe einordnen lässt, verwirrt viele, die sie zum ersten Mal treffen. Immer wieder muss sie sich erklären. Schwierig, denn hinter Loesje stecken viele Köpfe, die sich in ganz Europa Texte über lokale und globale Probleme ausdenken. Es gibt keine Zensur. Nicht alle Texte funktionieren überall, viele Sprüche werden nie übersetzt. Was allen gemein ist, erklärt Christian: „Wir wollen, dass die Menschen mit offeneren Augen durch die Welt laufen. Sie sollen sich Gedanken machen, und zwar lieber ihre eigenen als unsere.“

Und so richtig restlos erklären will sich Loesje gar nicht. „Wir mögen es, wenn sich Mythen verbreiten“, grinst „Max“ Christian. Dass die Plakate in der Stadt jetzt auftauchen, wo der Wahlkampf beginnt, begünstigt die Mythenbildung sicherlich. Aber kann „Bürgergeld statt Hartz IV“ von der FDP mit Loesjes „Arbeitslos – wieso, ist die Welt denn schon fertig?“ konkurrieren?

Zur Wahl wird Loesje im September nicht stehen. Dann hat sie ganz anderes zu tun: Sie wird offiziell ihr Büro in Treptow eröffnen, wird Mitstreiter für deutsche Gruppen suchen und neue mythenfähige Aktionen planen. Bis dahin klebt sie weiter ihre Plakate, oder besser: lässt sie kleben. Im Internet stehen neue und alte Sprüche zum Ausdrucken und Ankleben. Dass man damit nicht nur in Berlin an rechtliche Grenzen stößt, ist Loesje klar, aber eigentlich auch egal. „Wir plakatieren nur dann an verbotenen Stellen, wenn wir dorthin gedrängt werden. Häufig ist es einfach nicht einzusehen, warum eine graue Wand unbedingt grau bleiben muss“, sagt Christian mit Nachdruck.

Ihre Fenster hat Loesje jedenfalls schon beklebt. So antwortet sie jedem Passanten auf die Frage, was Loesje denn nun eigentlich ist: „Ich bin mehr als ein Name, eine Nummer, ein Geschlecht, ein Spruch.“