Ein Kleinod, aber keine Insel

GENOSSENSCHAFTEN Das Wohnprojekt „Drachenbau“ in Hamburg-St. Georg wird 25. Vom Leben mit Kindern stellen sich die Mitglieder auf das gemeinsame Altwerden um

Der Nachwuchs traf sich nach der Schule mal im einen, mal im anderen Haushalt

VON LISA KOLDE

So bedrohlich, wie sein Name vermuten lässt, sieht der Drachenbau gar nicht aus. Die Genossenschaftshäuser in St. Georg machen eher einen gemütlichen Eindruck: In dem Innenhof, der sich an mehreren Häusern entlangzieht, blüht es wild durcheinander. Auf einer Wand stehen, mit Kreide aufgemalt, Preise für Cola, Fanta und Wasser – vermutlich die Überbleibsel des letzten Nachbarschaftsfestes.

66 GenossInnen leben hier in Einzelwohnungen, Lebens- oder Wohngemeinschaften. Die Fluktuation ist gering, in 25 Jahren sind nur 42 Menschen ausgezogen. Ihre Zimmer und Wohnungen konnten schnell wieder neu vermietet werden. „Interesse am Drachenbau gibt es genug“, sagt Michael Schulzebeer, der zu den Gründungsmitgliedern der Genossenschaft gehört.

Mit Gleichgesinnten suchte er jahrelang nach einem geeigneten Gebäude für ein gemeinsames Leben mit Kind und Familie in der Stadt. Schließlich verliebte sich die Gruppe in das ehemalige Fabrikgebäude in der Schmilinskystraße. Für die Übernahme stellte die Stadt aber zwei Bedingungen: Die Gemeinschaft musste auch das Vorderhaus kaufen sowie zwei Baulücken durch Neubauten schließen. So entstand um den großen Innenhof herum, ähnlich einer Festung, der Drachenbau.

Doch als Bewohner einer Festung inmitten des sich stark verändernden Stadtteils St. Georg sehen die Drachenbauer sich nicht. Ganz im Gegenteil: „Wir sind Teil des Viertels, eine Art Kleinod, aber keine Insel“, sagt die Bewohnerin Sue Schnabel. „Viele von uns sind in Parteien und setzen sich politisch für das Viertel ein.“ Die ehemalige Zeichnerin lernte das Projekt Drachenbau über ihren Beruf kennen: Sie entwarf die Pläne für den Bau. Die Idee einer Genossenschaft hat sie so begeistert, dass sie mitmachen wollte.

Im Drachenbau sind Kompromisse tägliches Geschäft. Da gab es zum Beispiel die Sache mit dem Fahrstuhl: Eine Genossin im Rollstuhl konnte einen Großteil der restlichen Wohnungen nicht erreichen. „Wir haben zwei Jahre lang sehr kontrovers diskutiert“, erzählt Schulzebeer, „niemand wollte einen Fahrstuhl vor seinem Haus haben.“ Am Schluss habe man sich darauf geeinigt, ihn im Flur des Altbaus zu bauen.

Diese Entscheidung war auch mit Blick auf die Zukunft wichtig. Lange Zeit stand für den Drachenbau das gemeinsame Leben mit Kindern in Mittelpunkt. Der Nachwuchs traf sich nach der Schule mal im einen, mal im anderen Haushalt. In den vergangenen Jahren hat sich der Schwerpunkt aber verschoben: vom gemeinsamen Leben mit Kindern hin zum gemeinsamen Altwerden. „Wir werden immer älter, die Kinder ziehen aus und es kommen keine mehr nach“, sagt Schulzebeer.

Diese Entwicklung schlägt sich in den Gebäuden wieder: Die vier Wohngemeinschaften haben sich in kleinere aufgeteilt. Paare, deren Kinder ausgezogen sind, vermieten Zimmer unter. „Wir wollen kein Altersheim werden“, sagt Schulzebeer, selbst 64, „aber wir müssen uns mit unserem Alter auseinandersetzen.“

Auf den 10. Hamburger Wohnprojekte-Tagen am 21. und 22. September in der Uni, Von-Melle-Park 9, teilt die Drachenbau-Genossenschaft ihre Erfahrungen mit