Mit Masken und Hühnermist

AUS BIL’IN SUSANNE KNAUL

In dem kleinen Dorf Bil’in finden freitags keine Hochzeiten mehr statt. Ein junges Paar hat es ein letztes Mal versucht, dann sind Soldaten gekommen und haben die Feier mit Tränengas aufgelöst. Seit gut sechs Monaten wird in Bil’in jeden Freitag demonstriert – gegen den Sperrzaun, den das israelische Verteidigungsministerium bauen lässt.

Mohammed Khatib blickt vom Balkon im ersten Stock seines fast fertig gebauten Hauses auf das etwa 30 Kilometer südöstlich von Tel Aviv gelegene palästinensische Dorf. „An klaren Tagen kann man von hier aus bis zum Mittelmeer sehen“, sagt er. Da gewesen ist er selbst noch nie. Nur ein schmaler karger Landstreifen erstreckt sich hinter den letzten Häusern. „Dort hinten liegt Modi’in Illit“, sagt Mohammed und zeigt auf eine jüdische Kleinstadt, die nur wenige Kilometer entfernt liegt. Früher lagen dort die Olivenhaine seines Vaters.

„Ich bin unter einem Baum geboren“, sagt der 31-Jährige lächelnd und erzählt von seiner Mutter, die bis zum Einsetzen der Wehen bei der Ernte half. Seine Kindheit habe er in dem Hain verbracht. „Vor vier Jahren wurde mein Baum gefällt“, erinnert sich Mohammed, um Platz zu machen für die Häuser der jüdischen Siedler. „Meine Kinder spielen dort nicht mehr.“

Hinter den letzten Häusern von Bil’in wird das Fundament für den Trennzaun gesetzt, mit dem das Leben der Leute in Modi’in Illit und dem restlichen Israel sicherer werden soll. Die Stadt liegt unmittelbar an der alten Waffenstillstandslinie, wurde erst 1995 gegründet und ist ultraorthodox. Mit über 32.000 Einwohnern ist sie bereits heute die zweitgrößte jüdische Siedlung in den Palästinensergebieten – und trotz Verpflichtungen der israelischen Regierung, entsprechend der „Roadmap“ (siehe Kasten) den Siedlungsbau einzustellen, wird kräftig weitergebaut.

„Jede Woche kommen bei uns 40 Kinder zur Welt“, sagt Arie Zisman, Sprecher der Stadtverwaltung von Modi’in Illit, am Telefon. Innerhalb der kommenden zehn Jahre solle die Stadt auf 350.000 Bewohner anwachsen.

Wenn das umgesetzt wird, „würden die israelischen Häuser direkt bis an die Trennanlagen reichen“, sagt Mohammed, erzürnt darüber, dass sich die „Stadt der Besatzer“ auf seinem Land ausbreitet. „Die ganze Welt blickt auf den Gaza-Streifen und hier bauen sie wie der Teufel.“ Mehr als die Hälfte vom Gebiet Bil’ins wird durch den Zaun abgetrennt und ist damit für die Palästinenser verloren. „Land ist Leben“, resümiert Mohammed die Folgen für sich und seine Familie. Konnte er früher rund 1.000 Liter Öl aus den geernteten Oliven seines Hains pressen, „reicht es heute noch nicht einmal mehr für den Eigenbedarf“.

Jüdisch-arabische Koexistenz

Die Füße des schlanken, mittelgroßen Mannes stecken in Plastiksandalen, er streckt sie auf einen Mauervorsprung, gleich daneben liegt sein Mobiltelefon. Er trägt schwarze Jeans, darüber ein weißes T-Shirt. Mohammed wippt nervös mit dem rechten Bein. Seine kurz geschnittenen, festen Haare färben sich an den Schläfen leicht grau. „Die Besatzung lässt schneller altern“, sagt er lächelnd. Er reicht seinen zwei israelischen Freunden eine Schüssel mit frischen Feigen. Der eine heißt Nir und gehört zu der jüdisch-arabischen Gruppe „Ta-Ayosh“ (Koexistenz), und Ran ist Mitglied im „International Solidarity Movement“ (ISM), einer Gruppe überwiegend junger ausländischer Aktivisten gegen die israelische Besatzung.

Bei der Besprechung der drei Aktivisten – Mohammed gehört zum „Popular Commitee Against The Wall“ (Volksausschuss gegen die Mauer) –, geht es mal auf Englisch, mal auf Hebräisch um die nächsten Demonstrationen. Die friedlichen Aktionen in Bil’in, die sie vorbereiten, stehen jeweils unter einem vereinbarten Motto. Einmal ketteten sich 20 Aktivisten an die Olivenbäume, ein anderes Mal bauten sie eine Gefängniszelle und platzierten sie auf dem neuen Grenzstreifen. „Was technisch schwierig war, denn wir hatten nur fünf Minuten Zeit.“ So lange sind die Soldaten auf Patrouille, dann kehren sie zurück.

Am „Naqba-Tag“, dem „Tag der Katastrophe“, mit dem die Palästinenser der Vertreibung 1948 gedenken, inszenierten sie eine Szene aus einem Theaterstück, dann wieder zogen sie mit Masken von US-Präsident George W. Bush und seiner Außenministerin Condoleezza Rice in Richtung Kontrollpunkt.

„Wir haben die zweite Intifada verloren, weil wir mit Waffen gekämpft und damit die Welt gegen uns aufgebracht haben“, erzählt Mohammed, der heute seine Landsleute zu friedlichen Aktionen animiert. Mehr als Hühnermist werfen erlaube er nicht. „Was die Soldaten aber auch nicht mögen. Sie nennen es unsere ‚biologischen Waffen‘.“ Mohammed will die nationale und internationale Rückendeckung zurückgewinnen und dem Widerstand ein neues Image verschaffen. Aber den Bau des Trennzauns aufhalten – darüber macht er sich keine Illusionen. Trotzdem soll der Kampf fortgesetzt werden, auch wenn der Zaun steht.

Der Erfolg rechtfertigt die Methode. Mohammed, der in normalen Zeiten als stellvertretender Büroleiter im palästinensischen Jugend- und Sportministerium arbeitet, wurde inzwischen bei Weiterzahlung seines Gehaltes für den Kampf freigestellt. Auch die PLO gibt Geld, etwa wenn verhaftete Aktivisten gegen Kaution entlassen werden oder wenn Hilfe für die Protest-Inszenierungen am Kontrollpunkt gebraucht wird.

Sämtliche arabischen Fernsehsender, die in der Region stationiert sind, berichteten inzwischen über Bil’in. Vor ein paar Tagen veröffentlichte die liberale israelische Zeitung Ha’aretz auf der Titelseite das Bild eines von einem Grenzpolizisten gepeinigten Demonstranten aus Bil’in.

Salz- und Schaumstoffgeschosse

Doch ihre Friedfertigkeit schont die Aktivisten nicht immer. Zu Mohammeds „Andenken“ gehören ausgebrannte Hand- und Schockgranaten, Tränengaspatronen sowie hunderte Hülsen der erst seit kurzem gegen Demonstrationen eingesetzten Salz- und Schaumstoffgeschosse, die zwar nicht tödlich, aber sehr schmerzhaft sein können. Nur bedingt ging Mohammeds Rechnung auf, dass die Soldaten sanfter mit den Demonstranten umgehen, wenn Ausländer und Israelis darunter sind. Immerhin gab es bislang noch keine Toten, wie im Nachbardorf Budrus, wo fünf Palästinenser bei Demonstrationen erschossen worden waren. Außerdem sorgen die Aktivisten des ISM per Website für Publicity, und ein israelischer Kameramann arbeitet derzeit an einem Film.

Mit Hilfe seiner Bilder konnten die Palästinenser vor Gericht bereits beweisen, dass ein Dorfbewohner unschuldig war, dem vorgeworfen worden war, gewaltsam gegen die Soldaten vorgegangen zu sein. Die Aufnahmen zeigten, wie vier Provokateure der Armee versuchten, die Soldaten per Steinwurf zu provozieren. Einer der Leute aus Bil’in wollte seinen vermeintlichen Landsmann daran hindern, Steine zu werfen, worauf sich der Provokateur ein Tuch über sein Gesicht zog und den Mann mit gezückter Pistole verhaftete. Innerhalb von Sekunden waren drei andere Soldaten in in Zivil bei dem Palästinenser und führten ihn ab. In dem folgenden Prozess kritisierten die Richter zum einen die „lügenhaften Aussagen“ der Sicherheitskräfte sowie das „übertrieben scharfe Vorgehen gegen die Demonstranten“.

Während Mohammed das erzählt, klingelt sein Handy. In Beith Lakia, einem etwa 10 Kilometer entfernten Dorf, gibt es offenbar Probleme.„Kannst du hinfahren?“, fragt er Ran. Der macht sich auf in die Wohnung der Aktivisten vom ISM. Dort holt er eine Amerikanerin und eine Finnin ab, beide kaum 20 Jahre alt. Außerdem mobilisiert er per Telefon weitere ISM-Leute und die „Anarchisten gegen die Mauer“, eine israelische Friedensgruppe.

Drei ISM-Leute fahren nach Beith Lakia zu einer Baustelle eines Hauses, die von Soldaten bewacht wird. „Wurde hier Tränengas eingesetzt?“, fragt Ran. „Wir haben die notwendigen Maßnahmen getroffen“, antworten die Soldaten vage. Sie sichern auch den Bau einer Straße. Einer „Umgehungsstraße zum Wohle der Dorfbewohner“, wie ein Soldat bekräftigt. Wenn die Straße fertig ist, darf sie nur von jüdischen Siedlern befahren werden. Rund 50 palästinensische Jugendliche aus Beith Lakia bleiben in sicherem Abstand und demonstrieren gegen die neue Straße der Siedler. Manche tragen Steinschleudern, die sie dann und wann in Position bringen, dann aber doch nicht einsetzen. Als Ran und seine zwei ausländischen Mitstreiterinnen auf das von den Soldaten besetzte Haus zugehen wollen, schießen die Soldaten eine Tränengaspatrone in Richtung der Demonstranten ab. Die Jugendlichen bleiben auf Abstand. Nach einer Weile laufen sie auseinander.