Zwischen Freiheit und Verantwortung

Am besten wären natürlich polytechnische Ganztagsschulen ohne Noten mit prima Lehrern und Schülern: Die „13. International Democratic Education Conference“ an der Humboldt-Universität in Berlin

Irgendwo roch es nach Patchouli. Ein junger Lehrer im Ramones-T-Shirt erklärte mir, wie er vieles besser machen möchte

Antiautoritäre Erziehung ist super, findet jeder, der autoritär erzogen wurde. Als Kind leidet man unter der Gewaltherrschaft der Eltern, und die Schule ist so unangenehm, weil sie so sehr mit Angst arbeitet. Diese Angst führte bei uns Warmduschern immer dazu, dass das Gehirn oft schon beim Üben ausfiel. Deshalb fand ich die Prinzipien der antiautoritären Erziehung sehr einleuchtend. Die „Grüne Wolke“ von A.S. Neill war sowieso ein super Buch, und man beneidete die Kinder, die in der 1921 gegründeten Summerhill-Schule lebten.

Insofern hatte es auch etwas Nostalgisches, die zweitägige Tagung mit „demokratischen Schulen“ zu besuchen, die „im Rahmen der 13. International Democratic Education Conference“ an der Humboldt-Uni stattfand. Studieren ist das Schönste, was es gibt, und die Humboldt-Uni ist super. Es gibt zum Beispiel Einschusslöcher an vielen Wänden, schön abblätternde Farben in Treppenhäusern, Kellertüren, die so aussehen, als hätte sie ewig kein Mensch geöffnet, und in den uralten Pulten sind zugemachte Öffnungen, in denen früher Tintenfässer standen.

Am Eingang hatten mir die Veranstalter der Kinderrechtsorganisation „Krätza“ empfohlen, in den Vortrag „Motivation und Erfolg durch Flow-Erfahrungen“ von Dr. Gerhard Huhn zu gehen. Mit der Motivation ist es ja so eine Sache. Der launige Referent, der ansonsten Informationsverarbeitungsverbesserungsseminare für Manager veranstaltet, trug Jeans und Jackett. Er ist seit 1992 im „Flow“. Der Flow wächst in der inneren Stille. Das Hirn ist ein Organismus zur Abwehr unwilllkommener Neuerfahrungen, also eher Filter- als Speicherorgan, das im Gegensatz zum Menschen ökologisch arbeite. Kicher. Beim Lernen ginge es darum, sich Ziele zu suchen, die man erreichen könne. Auch sei es jederzeit möglich, die kindliche Neugierde wiederzuerwecken. Linke und rechte Gehirnhälften, limbische Systeme, Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie Lillys Isolationstank spielten auch eine Rolle.

Auf dem Klo sagte dann jemand, hier stinke es so sehr, und ging wieder weg. Ein junges Mädchen trug ein T-Shirt, auf dem „No Trash in my Life“ stand. In der Eingangshalle stellten sich diverse demokratische Schulen bzw. Schulgründungsinitiativen aus vielen Ländern vor. Es geht wohl immer darum, den Lernenden die gleichen Mitspracherechte zu geben wie den Lehrenden. Während das Konzept von Ganztagsschulen mit Agemixing und Stundenplan (Summerhill!) unmittelbar einleuchtet, tut es die Halbtagsschule ohne Stundenplan und mit Agemixing weniger. Am besten wären natürlich polytechnische Ganztagsschulen ohne Noten mit prima Lehrern und Schülern.

Irgendwo roch es nach Patchouli. Manche trugen Sandalen. In der Pause erklärte mir ein junger Lehrer im Ramones-T-Shirt, wie er vieles besser machen möchte. Viele engagierte Lehrer aus „normalen“ Schulen nahmen an dem Ganzen teil. Vielleicht ist es bezeichnend, dass so viele, die für Schulen ohne Noten sind, auf die Pisa-Studie verweisen. Es gab interessante Berichte über freie Schulen aus Südafrika, Indien, Osteuropa usw. usf. Auf manche Schulen gehen in erster Linie Kinder der gebildeten Ober- bzw. Mittelschicht; andere sind auch entstanden, um armen Kindern und Waisen zu nutzen, wie ein total netter Schulleiter aus Lesotho erklärte. Ein Lehrer aus Neu-Mexiko wollte alles politisch verstanden sehen, und ich erzählte von der schönen Zeit, als die taz noch ein Alternativprojekt war.

Oft ging es um das Ausbalancieren von Freiheit und Verantwortung. Jemand von einer Sudbury-Schule sagte den schönen Satz: „We fight against the adult’s experience.“ Und man dachte eine Stunde später „Who bitteschön und wer repräsentiert hier wen?“ Am Ende gab es eine vom Ex-taz-Chef Arno Widmann geleitete Podiumsdiskussion mit dem Landesschuldirektor Hans-Jürgen Pokall, Zoe Redhead, der Tochter von A. S. Neill, der Landesschülersprecherin von Bayern und anderen Aktivisten.

Zoe Redhead wirkte bei dieser Diskussion souverän und überzeugend. Andere schienen leicht paranoid und opfermäßig, vielleicht, weil sie selber so schlechte Erfahrungen in ihrer Schulzeit gemacht hatten und ihnen Steine in den Weg gelegt werden, wenn sie versuchen, eine „demokratische“ Schule zu gründen. Die Verfechter demokratischer Schulen sind ja eine Minderheit.

Wohlgeratene Absolventen demokratischer Schulen sollten beweisen, dass ihre Schulen besser waren. Danach demonstrierten viele noch für die Einrichtung demokratischer Schulen in Deutschland. Der nächste Weltkongress demokratischer Schulen findet in Sidney statt.

DETLEF KUHLBRODT