Dirk Niebel, Biosprit-Experte für einen Tag

ENERGIE Bevor sich der Entwicklungsminister der Islamisierung Afrikas zuwendet, stößt er schnell eine Debatte an: Getreide gehört auf den Teller, nicht in den Tank. Recht so, sagen Hilfsorganisationen

BERLIN taz | Die Brotgetreide Weizen und Roggen sind derzeit so teuer wie seit 25 Jahren nicht mehr. Laut dem Verband Deutscher Mühlen liegen sie bis zu 35 Prozent höher als im vergangenen Jahr. In Deutschland wird das wohl dazu führen, dass auch Brot und Brötchen teurer werden. In weniger reichen Ländern drohen wieder Hungerrevolten, so wie schon 2008 und 2010. Der Vorstoß von Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, den Verkauf von Agrarsprit kurzfristig zu senken, ist daher gut platziert – und heizt den Streit über den Biosprit neu an. Angesichts der angespannten Agrarmärkte hatte der Liberale am Mittwoch eine Art Moratorium für E10 – der Benzinsorte mit einer 10-prozentigen Beimischung von Bioethanol – gefordert. Der Verkauf solle erst einmal komplett gestoppt werden.

Entwicklungs- und Umweltorganisationen begrüßten den Verstoß in ihrer Mehrzahl. „Ein kurzfristiger Stopp wäre durchaus sinnvoll“, sagt Marita Wiggerthale, Agrarexpertin der Entwicklungsorganisation Oxfam. Allerdings nur, wenn er damit verbunden sei, sich generell aus dem Biosprit zu verabschieden. „Wir haben hier ein strukturelles Problem“, sagt Wiggerthale. Der inzwischen alle zwei Jahre zu beobachtende explosive Anstieg der Lebensmittelpreise habe seine Ursache in Rohstoffspekulationen und der Nachfrage nach Energiepflanzen. Das Problem werde sich verschärfen, sagt ihr Kollege Roman Herre von Fian, schließlich nehme auch die Konkurrenz um Agrarprodukte zu.

Kritik hingegen gab es vonseiten der Kraftstoffindustrie. „Seit den Nachrichten über die Dürre in den USA erwartete ich schon solche und ähnliche Reaktionen – nur nicht von Ihnen“, schrieb Helmut Lamp, CDU-Politiker und Vorstandschef des Bundesverbandes Bioenergie, in einem offenen Brief an Niebel. „Ich erinnere daran, dass 80 Prozent der Hungernden in der Welt Bauern und Viehzüchter sind“, heißt es weiter. Die Entwicklungshilfe der vergangenen Jahrzehnte sei darüber hinweggegangen, dass in Ländern wie Tansania 40 Millionen Hektar Agrarflächen verlassen wurden.

Der Hunger auf der Welt habe „komplexe Ursachen, die Bioenergie ist eine davon“, sagt Bernhard Schink, Mikrobiologe an der Universität Konstanz und einer der Koordinatoren der Stellungnahme zur Nutzung von Bioenergie der Leopoldina. Darin hatte die Wissenschaftsakademie kürzlich dargelegt, dass die Nutzung von Pflanzen als Treibstoff ineffektiv sei, die Technologie solle daher aufgegeben werden. Sich vom Agrarsprit zu verabschieden sei aber ein schrittweiser Prozess. Die Firmen könnten ihre Produktionsanlagen nicht einfach umstellen. Außerdem: „Der Alkohol, der jetzt an der Tankstelle verkauft wird, wurde schon vor Monaten destilliert“.

Die eigentlich zuständigen Kollegen Niebels, Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und Agrarministerin Ilse Aigner (CSU), kommentierten die Anregung nicht. Das Umweltministerium ließ nur verlauten, Deutschland setze mit seiner Biospritstrategie Vorgaben der Europäischen Union um. Langfristig könne sich Deutschland durchaus im Alleingang vom Agrarsprit verabschieden. „Die EU schreibt keinem Mitgliedsland vor, wie der Sprit an seinen Tankstellen aussehen muss“, sagt Martin Häusler, Agrarexperte der Grünen im EU-Parlament. Vorgeschrieben seien lediglich Minderungsziele für Kohlendioxid. „Deutschland hat durchgesetzt, dass auch der Einsatz von Biosprit angerechnet wird“, so Häusler, andere Länder setzten „darauf, den Kraftstoffverbrauch ihrer Fahrzeugflotte zu senken“.

Minister Niebel aber hat auf seiner Afrika-Reise bereits ein neues Thema entdeckt: Am Donnerstag warnte er vor einer Islamisierung des Kontinents.

HEIKE HOLDINGHAUSEN