Der Sitznachbar im Zug: Mit Adolf Hitler per Du

Ein Wochenende in Warnemünde, um den Kopf frei zu bekommen, könnte so schön sein. Wären da nicht die Mitreisenden.

Füße baumeln aus einem Strandkorb

Abschalten in Warnemünde: Es könnte alles so entspannt sein Foto: Jens Büttner/dpa

Meine Gedanken, meine Arbeit, meine Gefühle – alles drehte sich in den vergangenen Wochen um Rassismus und Polizeigewalt. Immer die gleichen Bilder im Kopf: Schwarze Menschen, die leblos auf der Straße liegen, in Parks, im Mittelmeer und sogar von Bäumen hängen. Ich dachte viel an Ruanda, an den Genozid 1994 überlebten, an die vielen Toten und wie wir ihn überlebten. Um den Kopf etwas freier zu bekommen, fuhr ich mit einem guten Freund am Wochenende nach Warnemünde.

Wir spazierten am Strand, hörten viel Musik, wir sangen, erzählten unangebrachte Witze und lachten viel. Nach und nach fühlte ich wieder mehr als nur Trauer, Resignation und Wut. Ich war positiv überrascht, wie wenig ich angestarrt wurde, wie freundlich die meisten waren und dass der Strand von Warnemünde diverser war als meine Straße in Berlin-Prenzlauer Berg. Auf dem Weg zum Bahnhof wollte ich gerade diese Gedanken mit meinem Kumpel teilen, als ein Mann aus dem Bahnhofskiosk kam. Er trug kurze Hose und ein T-Shirt in Camou­flage-Optik; als er sich zu uns drehte, sahen wir seine Kette mit einem Eisernes-Kreuz-Anhänger. An seinem Rucksack hing ebenfalls ein Exem­plar, damit seine politische Gesinnung auch ja nicht zu übersehen war.

Er schloss sein Fahrrad auf und radelte fröhlich davon. Sprachlos stiegen wir in den Zug nach Berlin, kurze Zeit später schlief mein Freund ein. In Neustrelitz stiegen zwei Männer ein und setzten sich im Viererabteil neben uns. Beim Einstieg zog einer der beiden seine Maske ab und sagte: „Mit diesen Masken ist das ist wie 1933. Bald müssen wir einen Stern tragen.“ Ich schaute die beiden an und stammelte: „Ist das Ihr Ernst?“ Die beiden schauten mich kurz an und führten ihr Gespräch unbeirrt fort. Ich wollte keine Szene machen, denn die würde meinen Freund wecken. Er als jüdischer Mensch sollte erst recht nicht solchen Aussagen ausgesetzt sein.

Die beiden Männer wechselten das Thema. Irgendwann wurde mein Freund wach, und ich erzählte ihm doch, was passiert war. Wir beschlossen, die beiden Männer noch mal anzusprechen. Der eine reagierte überrascht, aber stritt seine Aussage nicht ab. Er stellte sinnlose rhetorische Fragen, sprach von Adolf und davon, wie er seine damalige Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen hätte. Eine kleine Faustregel, mit der ich bislang gut gefahren bin: Menschen, die mit Adolf Hitler per Du sind, lieber meiden.

Die beiden anderen Menschen in unserem Abteil schauten angestrengt aus dem Fenster. Wir diskutierten ergebnislos weiter, und irgendwann sagte der Mann, dass er das, was er eigentlich sagen wollte, in Deutschland eh nicht mehr sagen dürfte, und wandte sich seinem Freund zu. Nach einem kurzen Schweigen holte einer eine Lokomotivezeitschrift raus, und die beiden sprachen über Züge. Als sie dann aufstanden, sahen wir, dass an ihren Rucksäcken kein Eisernes Kreuz hing, dafür aber das Deutsche-Bahn-Logo.

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Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada

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