Sexuelle Gewalt in der Schule: Schutzkonzepte müssen her

Begrapschen, Sexbilder, Übergriffe sind für viele Kinder und Jugendliche Alltag. Eine digitale Konferenz sucht nach Möglichkeiten, das zu ändern.

Ein lichtdurchfluteter leerer Klassenraum, die Stühle sind hoch gestellt

Jedes Jahr werden etwa 100.000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexueller Gewalt Foto: Norbert Schmidt/imago

BERLIN taz | Die bekanntesten Fälle von sexueller Gewalt in der Schule sind wohl die in der Odenwaldschule. Jahrzehntelang missbrauchten Lehrkräfte, allen voran Schulleiter Gerold Becker, systematisch Kinder und Jugendliche in dem als reformpädagogisches Vorzeigeprojekt bekannten Internat. Doch Begrapschen, das Verschicken von Sexbildern und Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen gibt auch anderswo. Sie gehören zum Alltag vieler Jugendlicher und Kinder.

Studien sprechen davon, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei Mädchen und Jungen davon betroffen sind. Zwar fordert der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig schon länger, dass jede Schule, jede Kita, jeder Sportverein und jede Organisation, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, ein Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt haben muss. Aber die Realität sieht anders aus: Gerade mal ein Fünftel der Kitas und 16 Prozent der über 30.000 Schulen in Deutschland können laut Rörig ein solches Schutzkonzept vorweisen.

Jedes Jahr werden etwa 100.000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexueller Gewalt – in der Familie, in der Schule, in kirchlichen und jugendkulturellen Einrichtungen, in Sportvereinen. Fälle wie jene von Lügde, Staufen, Münster, Bergisch Gladbach sind keine Einzelfälle. „Die Zahlen werden leider nicht weniger“, beklagt Rörig am Donnerstag zu Beginn einer vom Bildungsministerium angesetzten digitalen Fachtagung, die sich der sexuellen Gewalt in der Schule widmet. Zwei Tage lang tauschen sich Expert*innen, Ministeriumsmitarbeiter*innen und eben der Missbrauchsbeauftragte dazu aus.

Bereits am Mittwoch hat Bildungsministerin Anja Karliczek, CDU, auf der Homepage ihres Hauses bekannt gegeben, dass durch ein neues Programm der „bessere Transfer in die Praxis“ ermöglicht werden soll. Der Text auf der Seite des Bildungsministeriums (BMBF) liest sich sperrig und unkonkret.

Schutzkonzepte müssen her

Glaubt man den Worten von Christian Luft, Staatssekretär im BMBF, sollen damit „Forscherinnen und Forscher ermutigt werden, sich Praxispartner zu suchen“, um Schutzkonzepte in schulischen Einrichtungen umzusetzen. Oder anders ausgedrückt: Wissenschaftler*innen können ihre Konzepte jetzt in der Praxis erproben. Luft spricht von 5 Millionen Euro, die in dieses Vorhaben fließen.

Die Fachtagung, die am Donnerstag und Freitag läuft, wird sich zudem mit Fortbildungen für Lehrkräfte befassen. Nach wie vor wissen viele Lehrkräfte nicht, wie sie mit dem Verdacht umgehen sollen, dass ein Kind in ihrer Nähe sexueller Gewalt ausgesetzt sein könnte. „Die Gesellschaft ist sensibler geworden gegenüber sexueller Gewalt, vor allem in den vergangenen von Corona geprägten Monaten“, sagt Britta Ernst, Bildungsministerin in Brandenburg und Vizepräsidentin der Kulturministerkonferenz. Die digitale Fachkonferenz komme daher „im richtigen Moment“.

Hört man indes genauer auf die Worte des Missbrauchsbeauftragten, ahnt man, dass all das nicht reicht. „Freiwilligkeit führt nicht zum Schutz von Kindern und Jugendlichen“, wird er nicht müde zu betonen. Und wiederholt am Donnerstag seine Forderung, dass alle 16 Bundesländer Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt in ihren Schulgesetzen verpflichtend vorschreiben müssen. Aber damit beißt er bei vielen Ländern auf Granit.

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