NOCH EINS?
: Gespiegelt

Er zeigt auf den Spätkauf und fragt: Bier?

Wir sehen uns rechtzeitig. Wir schlenkern, rechts, links. In gespiegelten Bewegungen kommen wir uns immer näher. Beide sehen wir ein wenig erstaunt aus, dass es dem anderen nicht gelingt, aus dieser magnetischen Anziehung auszubrechen. Dann knallen wir mit den Fahrrädern gegeneinander.

Ich sehe ihn manchmal morgens. Er kommt mir, wie ich ihm, müde entgegen, oft hält er, einhändig lenkend, einen Kaffeebecher in der Hand. Ich falle nach rechts, er nach links. Die Räder, an denen Kindersitze befestigt sind, überschlagen sich. Wir rappeln uns auf, sehen einander verblüfft an. Nein, Helme tragen wir nicht, obgleich auch er ein Vater ist. Helme sehen bei Erwachsenen, wenn sie daraus keinen Sport machen, schlichtweg lächerlich aus, und lächerlich ist es eh schon, zu dieser Uhrzeit mit einem Kindersitz unterwegs zu sein.

Wie durch ein Wunder sind wir unverletzt, nicht eine einzige Schramme ist entstanden. Er zeigt auf den Spätkauf, vor dem wir stehen, und fragt: „Bier?“ – „Warum nicht“, sage ich. Wir setzen uns neben den Laden in einen Hauseingang und starren auf die leere Straße. „Wie heißt du eigentlich?“, frage ich. „Keine Lust zu reden“, sagt er.

Wir trinken und starren. Ein Zeitungszusteller hastet hinter seinem Wagen an uns vorüber, in der linken hält er vier monströse Schlüsselbünde. Dann passiert lange nichts, dann ein Nachtbus, dann brüllt in weiter Ferne irgendwer irgendwas, dann flitzt ein Marder über die Straße, dann wieder nichts.

„Wie alt ist deins?“, fragt er nach einer Weile und zeigt auf den Sitz.. „Zwei“, sage ich. „Meins auch“, sagt er. „Noch eins?“ – „Nee, eins reicht mir!“ – „Ich meine Bier!“ Wir lachen, ich nicke. Wir sitzen und starren. Als ich ausgetrunken habe, sage ich „Wir sehen uns!“, setze mich wieder aufs Rad und fahre los. Das Licht funktioniert nicht mehr.

BJÖRN KUHLIGK