„Gaza ist Teil Israels“

Israels Rechte mobilisiert gegen den Abzug aus dem Gaza-Streifen. Deren Idee: Wenn schon einer gehen soll – dann doch bitte die Palästinenser

AUS KFAR MAIMON SUSANNE KNAUL

An der Einfahrt zur Landwirtschaftskommune Kfar Maimon dröhnt aus riesigen Lautsprechern Popmusik. Schlagerstar Esri Kuti appelliert, sich auf die Thora zurückzubesinnen, eine andere Band verspricht die baldige Ankunft des Messias. Überall schlendern Menschen umher, stehen in Gruppen auf dem Bürgersteig oder liegen unter Bäumen. Ständig kommen mehr. Die meisten tragen orangefarbene T-Shirts oder orangene Bänder an der Kleidung.

Ein mit hunderten Schlafsäcken vollbepackter Lieferwagen bahnt sich den Weg durch die Menge. Rund 10.000 Menschen haben die Nacht in Kfar Maimon verbracht, die meisten „unter dem Sternenhimmel“, wie Dr. Jossi Cohen, Mathematikdozent aus Haifa. Der bärtige Mittdreißiger sitzt in Jeans, blauem Hemd und Sonnenhut unter einem Baum und beißt in ein Käsebrot. „Gaza ist Teil Israels“, so begründet er seinen Protest gegen den für Mitte August geplanten Abzug aus dem Gaza-Streifen.

Auf drei Tage ist die seit Montag laufende Aktion des Siedlerverbandes Jescha angesetzt. Sie soll die seit Wochen brodelnden Proteste gegen einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten auf die Spitze treiben. Konkretes Ziel: die Grenzanlagen passieren, den Weg in die militärische Sperrzone Gaza-Streifen erzwingen. Eigentlich sollte der Marsch am Morgen weitergehen, dann aber entschied man sich, offiziell aufgrund der Hitze, den Demonstrationszug auf den späten Nachmittag zu verlegen.

Stundenlang verhandelten Polizei und Siedlerverband. Rund 20.000 Sicherheitsleute sind im Einsatz. Die von Beginn an verbotene Demonstration soll, ginge es nach der Polizei, in Kfar Maimon enden. Die Polizei rief höchste Alarmstufe aus. Das war zuletzt vor zwei Jahren, während des Irakkrieges der Fall.

Dass die in Kfar Maimon campierenden Demonstranten die israelische Sicherheitslage gefährden könnten, erscheint absurd angesichts des auffallend zivilisierten und friedlichen Miteinanders. Kein weggeworfenes Papier, keine leeren Limonadenbüchsen, noch nicht einmal Zigarettenstummel liegen auf der Erde. Ein Lautsprecher informiert über Bibelstunden für Jugendliche und dass „die Synagoge rund um die Uhr geöffnet ist“.

Cohen ist überzeugt, dass er und seine ideologischen Verbündeten den Regierungsplan aufhalten werden, um damit die Wende einzuleiten. Premierminister „Scharon hat keine politische Agenda, außer der, immer mehr Land abzugeben“, meint Cohen. Wenn ihm das nicht gelingt, so folgert Cohen, sei nur logisch, dass er die Regierung abgebe. „Wir sind dran, die Fahne zu hissen“, begeistert sich der junge Mathematiker und meint damit das national-religiöse Lager. Wenn nicht heute, so doch in der Zukunft. Dafür sorge allein die demografische Entwicklung: „Die Weltlichen heiraten spät und haben wenig Kinder. Sie werden immer weniger, wir immer mehr.“ Cohen selbst ist schon jetzt Vater von fünf, was „manchmal schwerer ist, als das Rote Meer zu teilen, trotzdem machen wir Kinder“. Das sei eine „Mitzwa“, eine religiöse Pflicht.

Das national-religiöse Lager ist entweder die von den Siedlern bevorzugte Partei Mafdal (National-Religiöse Partei) oder der Likud, in dessen Reihen sich seit einiger Zeit eine rechtsradikale Abteilung formiert: die „jüdische Führung“ unter der Leitung des mehrmals aufgrund seiner militanten Kampfmethoden inhaftierten Mosche Feiglin. „Die Palästinenser zur Kapitulation zwingen“, steht in großen Lettern auf dem Plakat. Dazu ertönt von einem Tonband Feiglins Stimme: „Gut, dass ihr zur Demonstration gekommen seid, aber ihr könnt noch viel mehr tun.“ Um wirklich Einfluss nehmen zu können, müsse man „drinnen sein“, also beim Likud, nur dann könne man darüber entscheiden, wer der nächste Premierminister sein wird.

Ariel Scharon ist den Demonstranten ein rotes Tuch. Auf einem Plakat guckt er sichtlich zerknirscht aus seiner Gefängniszelle heraus. „Der Abzug wird dich nicht retten“, steht darunter. Auch Jossi Cohen hegt keinen Zweifel daran, dass der Abzugsplan keinen anderen Zweck erfüllen soll, als von den laufenden Korruptionsverfahren gegen die Familie Scharon abzulenken. Der Premierminister habe seinen Plan auf undemokratische Weise vorangetrieben, deshalb entbehre der Abzug jeder Legitimität.

Es sei „in Ordnung“, so Cohen, wenn der Staat die Soldaten aus dem Gaza-Streifen abziehe, vorausgesetzt, er ließe den Siedlern Waffen zurück. „Glaub mir, die Palästinenser würden dann nicht mehr lange bleiben.“ Genau das ist die Lösung, die den meisten Leuten in der Zeltstadt von Kfar Maimon vorschwebt: „Abzug ja – aber der Palästinenser.“