Tanzen, tanzen, tagelang

Im Osten der Republik kommt angeblich eine Droge wieder, die als „Pervetin“ schon bei den Nazis geläufig war und heute auf kaum einer Party fehlt: das Methamphetamin Crystal alias „Hitler-Speed“

VON SOLVEIG WRIGHT

„W. S.“ ist von Crystal nicht begeistert. Er hat seine Erfahrung beim ersten Konsum im Internet veröffentlicht: „Ich war dann auch so 4 bis 5 Tage drauf. Aber danach war ich fast 10 kg leichter und mir ging es fast zwei Wochen so dreckig, dass ich mich krankschreiben lassen musste.“ Pharma-Experten ist der Stoff als Methamphetamin bekannt. Er heißt auch „Hitler-Speed“ oder in Südostasien „Yaba“.

Crystal macht sehr wach, sehr glücklich, sehr selbstbewusst und ermöglicht tagelangen Sex oder tagelanges Tanzen. Es wirkt wie Kokain, nur heftiger und länger. Außerdem ist es billiger. In den USA ist es deswegen der letzte Schrei. Aber wie auch W. S. gemerkt hat, macht Crystal auch sehr kaputt. Die User sind tagelang wach, essen kaum und trinken oft zu wenig. Der Stoff geht auf die Nieren und die Leber. Wer lange regelmäßig Crystal nimmt, riskiert irreparable Hirnschäden. Und das Zeug macht abhängig – angeblich schneller und heftiger als Heroin.

In den USA reden die Behörden von einer neuen Entwicklung im Drogenmilieu, die vergleichbar ist mit der Crack-Welle der 80er-Jahre. Angeblich hat Crystal auch Schuld an einer erhöhten HIV-Infektionsrate, weil Schwule auf Sexpartys unter dem Einfluss von Crystal völlig enthemmt jegliche Vorsicht vergessen. Die Medien sind voll mit erschreckenden Bildern und erschütternden Geschichten über Methamphetamin.

XTC-Bart schreibt bei drugscouts, dass er der Droge eher zugetan ist, aber „der Nachschub ist schlecht, was natürlich gut ist.“ So müsse er die Sucht nicht fürchten. Denn Crystal führt seit einigen Jahren eine Randexistenz in Deutschland. Die Frage ist nur, ob das so bleibt.

Hergestellt wird das Methamphetamin nach den Erkenntnissen des BKA in Tschechien. Entsprechend ist es im Grenzgebiet zu Tschechien am verbreitetsten. In Sachsen ist Crystal nach Cannabis und Heroin die häufigste Droge, wegen der Menschen bei der Drogenberatung Hilfe suchen. Aber auch in Köln und Berlin kennen Drogenexperten Crystal seit einigen Jahren aus der Party-Szene.

Hans Cousto aus Berlin beobachtet, dass in bestimmten Teilen der Schwulenszene Crystal etabliert ist. Er engagiert sich bei „eve and rave e.V.“, die in Clubs über Drogen aufklären. Crystal sei bei härteren Sexpartys verbreitet. Ähnliches hat Ralf Wischnewski von der Drogenhilfe in Köln beobachtet, allerdings existiere das Methamphetamin-Problem überall dort, wo Menschen Höchstleistungen erbringen wollen – gleich welcher Art.

„Crystal scheint genau auf eine bestimmte Bedürfnislage zu passen“, sagt Falk Springer. Der Sozialarbeiter klärt in Leipzig für drugscouts über Drogen auf. Crystal werde von Menschen genommen, die entweder Schritt halten wollen in einer hektischen Welt. Oder in höheren Dosen, wenn sie total aus ihrem Alltag aussteigen wollen. In der Chemnitzer Jugendpsychiatrie erzählen die User dem Chefarzt Dieter Herrmann oft davon, dass Crystal ihnen das Selbstvertrauen gibt, in der Lehre aufzubegehren oder in der Schule ihre Interessen zu vertreten.

In Leipzig war Methamphetamin lange ebenfalls ein Phänomen, dass sich auf die Partyszene beschränkte. Inzwischen hat Crystal die Szenegrenze überschritten. In den letzen Jahren haben immer Jüngere zum Methamphetamin gegriffen, die noch nicht mal in einem Club eingelassen würden. Erika Reinhard von der Suchtberatungsstelle in Leipzig warnt, man müsse ein Auge auf die Droge haben. Der Konsum von synthetischen Drogen nehme insgesamt ihren Beobachtungen nach zu und besonders der von Crystal.

Der Bonner Psychiater Christian Schütz regt ebenfalls an, die Forschung über so genannte Partydrogen anzukurbeln. Auch er hat beobachtet, dass Amphetamine und Methamphetamine immer größere Popularität haben. Bonn liegt sehr weit von dem traditionellen Crystal-Gebiet bei der tschechischen Grenze entfernt, die Droge breitet sich anscheinend aus. In Hamburg wurde in einer beobachtenden Studie immerhin festgestellt, dass es eine neue Droge gebe, „Thai Extasy“ – das ist Methamphetamin in Tablettenform.

Abgesehen von Dealern und Usern indes scheint sich kaum jemand mit der Substanz zu beschäftigen. Drogenforscher Peter Tossmann von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) kennt keine Studie, die in den letzen zehn Jahren angefertigt worden wäre: „Szenedrogenstudien gab es Mitte der 90er, danach interessierte sich dann keiner mehr dafür.“ Lediglich für Sachsen gebe es neuere Zahlen. Diese belegen, dass Crystal auch in ländlichen Regionen verfügbar ist: „Überall, wo Partys gefeiert werden.“