Jenseits der 110. Straße

FILMREIHE Übersexualisierte Männer, schlagkräftige Frauen und jede Menge Rachefantasien: Das Kino Arsenal zeigt Blaxploitation-Filme von Regisseuren auf der Suche nach einem schwarzen gesellschaftlichen Bewusstsein

Der Name „black exploitation“ geht auf Bürgerrechtsorganisationen zurück

VON ANDREAS BUSCHE

Das Intro von Isaac Hayes’ Titelsong „Shaft“ gehört zu den prägenden Sounds des 70-Jahre-Kinos: Charles Pitts quäkige, unwiderstehlich flirrende Wah-wah-Gitarrenriffs über einer scharf pulsierende Hihat lieferten das stilbildende Thema des Sommers 1971. Und wenn Richard Roundtree im braunen Ledermantel durch die Straßen New Yorks marschierte, war einfach mal eine Ansage. Kaum vorstellbar, dass erwogen worden war, Ernest Tidymans schwarzen Privatdetektiv mit einem weißen Schauspieler zu besetzen.

Es ist keine gewagte These, zu behaupten, dass die kurze Erfolgsgeschichte des Blaxploitationfilms ohne das Hayes-Stück und Fashionmodel Roundtree undenkbar gewesen wäre. Gordon Parks’ Film kam gerade zum richtigen Zeitpunkt, um dem hoffnungsvoll beschworenen „Black Hollywood“ einen Schub zu versetzen. Nahezu zeitgleich entstand Melvin van Peebles „Sweet Sweetback's Baadasssss Song“, der seinen Helden ebenfalls mit überproportionalem Sexappeal ausstattete. Doch während Shafts Coolness nicht zuletzt ein weißes Publikum adressierte, vergab Van Peebles im Abspann seine Hauptrolle an die „Black Community“.

„Shaft“ und „Sweet Sweetback's Baadasssss Song“ sind bis Ende August in einer kleinen Filmreihe zu sehen, die das Kino Arsenal dem Blaxploitationkino der siebziger Jahre gewidmet hat (inklusive Quentin Tarantinos „Jackie Brown“, vielleicht die schönste Liebeserklärung, die je einem Filmgenre zuteil wurde). Es ist eine nostalgische Rückschau, wie geschaffen für den tristen Berliner Sommer, aber auch eine seltene Gelegenheit, die vielen Motive und politischen Untertöne, die die einzelnen Filme durchziehen, noch einmal in ihrer Gesamtheit zu betrachten.

Rassistische Stereotype

Denn bei vielem, was in der Vergangenheit über den Blaxploitationfilm geschrieben wurde, überwog immer eine Skepsis gegenüber den Produktionsbedingungen des B-Kinos, das schon durch das Anhängsel „-ploitation“ als minderwertig stigmatisiert war. Isaac Julien korrigierte in seiner Dokumentation „Badassss“ vor einigen Jahren bereits den weit verbreiteten Irrtum, der Begriff „Blaxploitation“ sei eine Erfindung der (weißen) Filmindustrie gewesen.

Ursprünglich geht die Bezeichnung „black exploitation“ auf die Bürgerrechtsorganisationen NAACP und CORE zurück, die spätestens seit dem Erfolg von „Superfly“ (1972) die Idee eines afroamerikanischen Kinos, das auf rassistischen Stereotypen basiert, nicht ganz zu Unrecht vehement ablehnten.

Doch auch wenn unbestritten bleibt, dass die Produktionsmittel des Blaxploitationfilms aus den traditionellen Hollywoodstrukturen hervorgingen – Jack Hill, Larry Cohen und Jack Starrett zum Beispiel, die allein fünf Filme des Arsenal-Programms stellen, stammen aus den Talentschmieden der B-Movie-Produzenten Roger Corman und Sam Z. Arkoff –, brachte die Dialektik von kommerziellen Interessen und der Suche nach einem schwarzen gesellschaftlichen Bewusstsein einige erhellende Momente hervor. So kehrt Shaft im dritten Teil der Trilogie nach Afrika zurück, um einen Sklavenhändlerring aufzudecken.

Wohl am deutlichsten kommt diese Reibung in „Superfly“ zum Ausdruck, wo Curtis Mayfields Beschreibungen vom afroamerikanischen Alltag in den Inner Cities von Chicago in permanentem Widerspruch zur schillernden Geschichte um einen drogendealenden Pimp stehen. Mayfield, der mit seiner Band auch in einem rührenden Cameo zu sehen ist, beklagte diesen Umstand später, doch genau in dieser Spannung liegt der Reiz von Parks’ Film.

Auch ansonsten gibt es viele starke Momente im Arsenal-Programm wiederzuentdecken. Die Konfrontationen zwischen Anthony Quinns italoamerikanischem Cop und Yaphet Kottos schwarzem Detective in „Across 110th Street“ beispielsweise sind um einiges unversöhnlicher als noch wenige Jahre zuvor der paternalistische Rassismus eines Rod Steiger gegenüber Sidney Poitier.

Auffällig sind auch die vielen expliziten Rachemotive – Pam Griers Feldzüge gegen weiße Drogendealer („Coffy“, „Foxy Brown“) oder Fred Williamson als afroamerikanischer Pate in „Black Cesar“. Bereits von einer tödlichen Schusswunde verletzt, überwältigt Williamson seinen rassistischen Widersacher und lässt ihn in Blackface ein Minstrellied anstimmen.

Schon 1975 setzte der Niedergang des Blaxploitationfilms ein. Es folgte der Ausverkauf durch Adaptionen und Parodien wie „Boss Nigger“, „Black Shampoo“, „Dr. Black, Mr. Hyde“ und „Dolemite“. Bezeichnenderweise schlug im folgenden Jahr ein Film um einen italo-merikanischen Dockarbeiter, der dem schwarzen Boxweltmeister eine Tracht Prügel verabreichte, alle Kassenrekorde. „Rocky“ bedeutet das symbolische Ende des Blaxploitationkinos. Nur ein Jahr zuvor hatte Charles Burnett mit dem Sozialdrama „Killer of Sheep“ die „Los Angeles School of Black Filmmakers“ um Julie Dash, Jamaa Fanaka und Haile Gerima begründet. Aber das ist eine andere Geschichte, die uns das Arsenal hoffentlich bald mit einem eigenen Programm erzählen wird.

■ Blaxploitation!: ab heute im Kino Arsenal