Menetekel im SS-Gemäuer

WIEDERENTDECKUNG Vor elf Jahren entdeckte der Filmemacher Benjamin Geissler die verschollen geglaubten Wandbilder des polnisch-jüdischen Künstlers Bruno Schulz. In einer Videoinstallation rekonstruiert er nun die heute in Yad Vashem hängenden Kunstwerke

Als „Leibjude“ des SS-Mannes musste Schulz für dessen Kinder Wandbilder malen

VON FRANK BERNO TIMM

In allen Einzelheiten mag man sie sich gar nicht ausmalen. So traurig ist die Geschichte, die der Filmemacher Benjamin Geissler gemeinsam mit seinem inzwischen verstorbenen Vater, dem Schriftsteller und Dokumentarfilmer Christian Geissler, in seiner Dokumentation „Bilder Finden“ über den ebenso einflussreichen wie hierzulande wenig bekannten polnisch-jüdischen Schriftsteller, Literaturkritiker, Graphiker und Zeichner Bruno Schulz erzählt – der am Donnerstag vor einer Woche 120 Jahre alt geworden wäre.

1892 im galizischen Drohobycz geboren, fand Schulz nach der Besetzung durch die Deutschen 1941 im SS-Hauptscharführer Felix Landau einen zweifelhaften Mäzen. Als dessen „Leibjude“ musste Schulz unter anderem Raubgut katalogisieren und in der Villa des SS-Manns für dessen Kinder Wandbilder malen – seine letzten Kunstwerke: 1942 wurde Schulz von einem Gestapo-Mann erschossen.

Vor elf Jahren reisten die beiden Geisslers nach Drohobycz, sprachen mit Zeitzeugen, begannen eine intensive Suche nach den Fresken. In der Speisekammer der ehemaligen SS-Villa, in der heute ein bettelarmes, krankes Paar lebt, entdeckten sie schließlich die bis dahin verschollen geglaubten Bilder und ließen sie von polnischen Experten freilegen. Der Moment, in dem ein Gesicht an der Wand freigewischt wird, das der polnische Wissenschaftler eindeutig als Schulz-Kunstwerk identifiziert, ist einer der Höhepunkte des Films.

Mit sensibler Kamera begleitet Geissler die Entdeckung, verwebt seine Filmerzählung mit Schulz-Zitaten, mit einem Bericht Landaus von einer Exekution und lässt so das Bild der unglaublichen, wahnwitzigen Hölle, inmitten derer Schulz große Kunst schuf, äußerst lebendig werden. Doch dann nehmen die Ereignisse eine dramatische Wendung. Mitarbeiter der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem reisen ebenfalls in die Ukraine, reißen Teile der Fresken heraus und nehmen sie mit. Geissler kehrt seinerseits zurück und dokumentiert die Empörung der dort lebenden Juden.

Es sei argumentiert worden, dass nach Yad Vashem zwei Millionen Besucher jährlich kämen, erinnert sich der Filmemacher. Wer fahre schon nach Drohobycz? Die Schulz-Arbeit aber passe nicht ins Konzept der israelischen Gedenkstätte, findet Geissler und nennt das Vorgehen „respektlos und inakzeptabel“.

Nun hat Geissler die zerstörten Wandmalereien zumindest digital mit dreidimensionalen Videoprojektionen wieder rekonstruiert. Noch bis zum 9. September ist die mobile Installation „Die Bilderkammer des Bruno Schulz“ noch in der Sammlung Falckenberg zu sehen. Mit Überblendungen stellt Geissler dabei alle Phasen von der Entdeckung über die Zerstörungen bis hin zur Rekonstruktion dar.

Auch „Bilder Finden“ ist bis zum 9. September noch dreimal im Abaton-Kino zu sehen, im August und September ist Geissler bei den Vorführungen zu Gast. Es bleibt zu hoffen, dass dann mehr Zuschauer den wichtigen Film sehen. Am letzten Donnerstag war das Abaton nur schlecht besucht. Ein Jammer, schließlich soll sein Film über das „Menetekel im SS-Gemäuer“ vor allem jungen Leuten helfen, Verantwortung zu übernehmen, sagte der Filmemacher.

■ „Bilder finden“: So, 22. 7., 11 Uhr, Abaton Kino, Allende-Platz 3. Bei den weiteren Vorführungen am 19. 8. und 9. 9., je 11 Uhr, ist Benjamin Geissler zu Gast. „Die Bilderkammer des Bruno Schulz“ ist noch bis zum 9. 9. in der Sammlung Falckenberg zu sehen. Der Besuch ist nur im Rahmen von geführten Führungen am Mi und Do um 18 Uhr, Fr um 17 Uhr sowie Sa und So um 11 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr möglich. Eine Anmeldung unter www.sammlung-falckenberg.de ist erforderlich