Jürgen Trittin rechnet das Klima schön

Dürftige Treibhausgasbilanz: Der grüne Bundesumweltminister spricht zwar von einer „anspruchsvollen Klimaschutzpolitik“. Doch die Republik stößt heute mehr Kohlendioxid aus als noch 1999. Ideen, um gegenzusteuern? Rot-Grün fällt nicht viel ein

VON BERNWARD JANZING

Einmal im Jahr wird abgerechnet – jetzt ist es wieder so weit. Die Beamten im Bundesumweltministerium haben für 2003 die nationalen Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) aufsummiert – und kommen dabei auf 865,3 Millionen Tonnen. Und während das Ministerium sich selbst für seine „anspruchsvolle Klimaschutzpolitik“ lobt, zeigen die Daten, dass das Land im Jahre 1999 mit 857 Millionen Tonnen schon einmal weiter war im Klimaschutz.

So war die Vorstellung des Nationalen Klimaschutzprogramms gestern in Berlin eine durchwachsene Sache. Denn für seine angeblichen Erfolge muss der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin weit zurückgehen in der CO2-Statistik. Er vergleicht die heutigen Werte stets mit jenen des Jahres 1990: Gegenüber dem Basisjahr im Rahmen des Kioto-Protokolls, dem einzigen internationalen Abkommen zum Klimaschutz, habe man bereits 18,5 Prozent CO2 eingespart. Der Minister verkündet es stolz und sieht sich damit kurz vor seinem Ziel. Dieses heißt: 21 Prozent Reduktion, und soll ab 2008 erreicht sein. Doch die fehlenden Prozent werden schwierig. Denn die Emission gingen vor allem Anfang der Neunzigerjahre zurück – dank Abbau alter Industrieanlagen im Osten.

Allerdings gibt es zumindest nominal partielle Erfolge – denn im Verkehr sind die Zahlen gesunken. Die ökologische Steuerreform sei ein Grund, sagt Trittin, so wie die gestiegene Attraktivität der Bahn. Hinzu kommt noch, dass die Bürger aufgrund höheren Spritpreise weniger Auto gefahren sind. 167 Millionen Tonnen Kohlendioxid wurden 2003 in Deutschland vom Verkehr in die Luft geblasen, gegenüber 182 Millionen Tonnen im Jahr 1999. Dass hierbei auch die eine oder andere Tonne dem Tanktourismus zu verdanken ist, darf vermutet werden: Die Verkehrsemission werden danach berechnet, wie viel Sprit im Land verkauft wurde.

Schlecht steht es unterdessen um den Klimaschutz in den privaten Haushalten. Zwar wurden Neubauten immer weiter auf Energieeffizienz getrimmt. Doch jeder Neubau – und braucht er noch so wenig Energie – erhöht den Gesamtverbrauch. Und so stehen die Haushalte mit 122 Millionen Tonnen an einem Punkt, wo sie vor über zehn Jahren schon waren. Industrie und Gewerbe sind die einzigen Sektoren, die relativ stetig ihre Emissionen vermindert haben.

Die Emissionen von Industrie und Haushalten werden übrigens anhand der eingesetzten Brennstoffe ermittelt. Jeder Kubikmeter Gas und jede Tonne Kohle hat einen spezifischen CO2-Wert, der sich bei der Verbrennung aus der chemischen Zusammensetzung ergibt. Die erhobenen Daten gelten daher als präzise.

Das Umweltministerium macht sich nun Gedanken über neue Minderungsstrategien. Weil sich aber selbst die Grünen an eine weitere Erhöhung der Ökosteuer nicht mehr herantrauen, hat das Ministerium eine buntes Sammelsurium von teils recht unpräzisen Projekten oder Minimallösungen vorgestellt. Dazu zählen „Maßnahmen zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Verkehrsträgern“, die „Einführung innovativer Antriebstechniken und Effizienzsteigerung“ sowie die „forcierte Einführung von Verbrauchsanzeigen in Neufahrzeugen“. 5,3 Millionen Tonnen sollen künftig pro Jahr in den Haushalten und 10 Millionen Tonnen im Verkehr eingespart werden.

Die Ziele werden umso ambitionierter, je weiter entfernt die Termine sind: Bis 2020 könne man sich eine Reduktion von 40 Prozent gegenüber 1990 vorstellen, ließ Trittin gestern wissen – vorausgesetzt, die anderen EU-Länder verpflichten sich zur Minderung um 30 Prozent.

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