Gegen die Abschiebung spielen

Hiannick Kamba soll kommende Woche in den Kongo abgeschoben werden. Dank des Engagements seiner Schule und des Bundesligisten Schalke 04, der ihm einen Vertrag als Amateur angeboten hat, scheint das Thema vorerst vom Tisch. Doch die letzten Monate haben Spuren hinterlassen

„Ich habe früher alles für mich behalten, bis es nicht mehr ging“, sagt Hiannick

VON HOLGER PAULER
und RALF GÖTZE

Konzentriert springt Hiannick Kamba über die aufgestellten Hürden. Noch im Flug fordert er von Michael Büskens, Fußballtrainer der Schalker Amateure, den Ball und spielt ihn sauber weiter. Doppelpass und Hiannick zieht ab – direkt in den rechten Winkel. Gleich dreimal hintereinander gelingt dem 18-jährigen der Geniestreich. „Sauber gemacht“, lobt Büskens seinen neuen Schützling später, doch statt Euphorie stehen dem gebürtigen Kongolesen tiefe Sorgenfalten ins schmale Gesicht geschrieben. Er sieht abgemagert aus: Am 15. Juli dieses Jahres soll Hiannick abgeschoben werden. „Ich lebe in ständiger Angst, dass ich verhaftet und in einen Flieger gesteckt werde“, sagt er.

Immerhin: die vergangene Woche brachte neue Hoffnung. Seine Schule, die Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen, sammelte 4.000 Euro, um Hiannick kurzfristig den Lebensunterhalt und damit die Grundlage für ein Bleiben in Deutschland zu sichern. Außerdem rang sich der Bundesligist Schalke 04 dazu durch, seinem Nachwuchsspieler einen Vertrag für die Oberliga-Mannschaft zu geben. „Wir müssen noch das Okay des Fußballverbandes Westfalen abwarten“, sagt Schalke-Sprecher Thomas Spiegel. „Eigentlich dürfen Nicht-EU-Ausländer nur als Profis beschäftigt werden.“ Doch vom Verband gebe es positive Signale. Lebensunterhalt und Bleiberecht scheinen vorerst gesichert. „Ich bin dankbar für das Engagement“, sagt Hiannick.

Der Schüler lebt momentan in Essen – vor neun Jahren kam er mit seinen Eltern aus dem Kongo ins Ruhrgebiet. „Meine Freunde sagen, dass ich eigentlich Deutscher bin“, sagt Hiannick Kamba mit leiser Stimme. „Ich spreche nur deutsch und französisch, im Kongo habe ich keine Bekannten.“ Für einen kurzen Moment hebt sich seine Stimme, wird lauter: „Was soll ich da?“. Pause. Achselzucken.

Die schlechte Nachricht kam vor einem Jahr: Die Ausländerbehörde Essen forderte die Familie auf, das Land zu verlassen. Hiannick ließ sich damals darauf ein, zum 15. Juli 2005 in den Kongo zurück zu kehren. „Ich hatte keine andere Wahl“, sagt er. Irgendwie habe er gedacht, dass es in der Zwischenzeit eine andere Lösung geben werde. Doch je näher der Abschiebetermin rückte, desto mehr wurde ihm bewusst, auf was er sich eingelassen hatte.

Vor zwei Wochen kam der nächste Schock: über Telefon erfuhr Hiannick, dass seine Eltern gewaltsam in den Kongo abgeschoben wurden. Von der Straße in den Flieger nach Kinshasa – die Hauptstadt der demokratischen Republik Kongo. Dass dort bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen schien die Behörden nicht zu interessieren. Hiannick brach zusammen, als ihn die Nachricht erreichte. Immerhin hat er noch telefonischen Kontakt. „Er hat uns nie von seinen Problemen erzählt“, sagt seine Freundin Dounia, „er war immer so ein starker Mensch.“ Doch seitdem ist alles anders.

Nachdem bekannt wurde, dass er abgeschoben werden soll, ließ Hiannick die Haare auf seinem kahl geschorenen Kopf wachsen. So als wolle er sich darunter verstecken. Aus dem gefestigten, fröhlichen Jungen, wurde ein nachdenklicher Mensch. Während des Gesprächs bleibt er ernst. Mit gelegentlichen Lachern versucht er die absurde Situation zu vergessen. „Ich habe früher alles für mich behalten, bis es nicht mehr ging“, so Hiannick. Das täglich Programm hatte ihn ausgezehrt: Das Fußballinternat bei Schalke, die Schule, dazu die Behördengänge und Anwalttermine. „Freizeit, welche Freizeit?“

Seine Freundin Dounia streicht ihm durch das Haar. Seit drei Jahren sind die beiden zusammen. Momentan ist ihre Beziehung eine permanente Therapie – gegen die Angst. Dounia ist 19. Sie hat einen deutschen Pass. Ans Heiraten haben die beiden nicht gedacht. „Das will ich auch nicht“, sagt Hiannick. Er will „kämpfen“, sein Bleiberecht auf „normalem Weg“ erlangen. Jetzt, wo die Hoffnung wieder da ist, wächst auch der Wille.

Den Kontakt mit der Presse habe er anfangs gescheut. Sein Schulleiter Georg Altenkamp hat ihm aber dazu geraten. „Altenkamp ist verdammt cool“, sagt Hiannick. Und das Verhältnis zu den Lehrern? „Kein Problem“, so Hiannick. An dieser Schule sei alles anders. 1.500 Schüler, alle hätten ihn unterstützt. Rassismus habe es nicht gegeben. „Ohne die Schule hätte ich es nicht geschafft.“ Rektor Altenkamp hatte sich damals an die Härtefall-Kommission der Landesregierung gewandt und Hiannick eine Anwältin besorgt. „Wir wollten den öffentlichen Druck erhöhen“, sagt Altenkamp. Sogar seinen Urlaub hat er abgesagt. „Das bin ich dem Jungen schuldig“, so Altenkamp.

Hiannicks Ziele: Er will sich bei der Oberliga-Mannschaft von Schalke 04 durchsetzen. Klar. Doch die Bilanz des Bundesligisten spricht eher dagegen: Nur wenige Spieler haben den Sprung in den Profibereich geschafft.

In zwei Jahren will er sein Abitur machen. „Hiannick ist ein sehr leistungsstarker Schüler“, sagt seine Freundin. Er grinst verlegen, es ist ihm fast peinlich. Leider konnte er am letzten Schultag sein Zeugnis nicht mitnehmen. „Ich habe vergessen, ein paar Bücher abzugeben“, lacht Hiannick. Deutsche Behörden sind gnadenlos.