Zu schmutzig und zu teuer

WIRTSCHAFTLICHKEIT Wirtschaftswissenschaftler sprechen sich gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke aus

Es existieren derzeit Pläne für 29 neue Kohlekraftwerke, davon sind 9 bereits im Bau

Berlin taz | 50 Wirtschaftswissenschaftler haben heute in Berlin die Bundesregierung und die Energieversorger eindringlich vor dem Neubau weiterer Kohlekraftwerke gewarnt. Zu den Unterzeichnern einer Erklärung, die das „Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft“ zusammen mit der European Climate Foundation initiiert hat, zählen 25 Professoren. Neue Kohlekraftwerke würden sich nicht mit bestehenden Klimaschutzzielen vereinbaren lassen und enthielten hohe Investitionsrisiken.

Holger Rogall, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, sprach über die Dringlichkeit wirksamer Einsparungen von Treibhausgasen bis zum Jahr 2050. Mindestens 95 Prozent der heutigen Emissionen müsste die Einsparungen betragen, um die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen. Bei einer zu erwartenden Laufzeit von 50 bis 60 Jahren würden heute gebaute Kraftwerke wesentlich die Reduktion der Emissionen im Deutschland des Jahres 2050 beeinträchtigen.

Martin Jänicke von der Freien Universität Berlin äußerte sich skeptisch zur CO2-Speicher-Technologie CCS (Carbon Capture and Storage). Er schätzte sie zwar für technisch realisierbar ein, hält es aber für unwahrscheinlich, dass Kohlekraftwerke mit CCS wirtschaftlich betrieben werden können. Durch die CO2-Abscheidung und Einlagerung würde der ohnehin schlechte Wirkungsgrad von Kohlekraftwerken weiter reduziert.

Martin Cames vom Öko-Institut führte aus, dass Grundlastkraftwerke grundsätzlich mit dem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien nicht vereinbar seien.

Hans-Joachim Ziesing, Vorsitzender des Berliner Klimaschutzrats, erklärte, dass, sofern die politischen Bedingungen – also der Vorrang erneuerbarer Energien und die Fortführung des Emissionshandels – bestehen blieben, die Wirtschaftlichkeit von Kohlekraftwerken in Zukunft sinken werde.

Die Unterzeichnenden fordern einerseits von der Energiewirtschaft, ihre Investitionen in neue Kohlekraftwerke einzustellen, andererseits von der Bundesregierung, entsprechende Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Dazu gehöre insbesondere das verbindliche Festlegen von CO2-Reduktionszielen für die Zukunft. Die Genehmigung neuer Kohlekraftwerke müsse an den Einsatz von CCS gebunden sein, das bloße Versprechen einer möglichen späteren Nachrüstung reiche hierfür nicht aus.

In Deutschland existieren derzeit Pläne für 29 neue Kohlekraftwerke, davon sind neun bereits im Bau. Ähnlich wie in Datteln wurde an verschiedenen Standorten trotz unklarer rechtlicher Lage mit dem Bau begonnen. Im westfälischen Lünen baut Trianel, ein Zusammenschluss von Stadtwerken, trotz einer anhängigen Klage des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof ein Steinkohlekraftwerk.

Ebenfalls anhängig ist eine Klage gegen das Kohlekraftwerk in Mainz vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz, dort wurde im Juli nach wenigen Wochen Bauarbeiten ein faktischer Baustopp verfügt. Das Mainzer Kraftwerk ist besonders umstritten, weil es ein bestehendes Gaskraftwerk ersetzen soll.

HANNO BÖCK