Deutsche dürfen nach Österreich flüchten

Österreicher dürfen ihren Studienplatz frei wählen. Dies muss künftig auch für Deutsche gelten, die vor dem Numerus clausus ins Nachbarland flohen. So entschied es gestern der Europäische Gerichtshof. Regierung in Wien will nun Zulassung begrenzen

VON CHRISTIAN RATH

Manche der Studierwilligen waren besonders fix. Schon in den letzten Wochen haben sich rund tausend Deutsche um einen Platz an der veterinärmedizinischen Fakultät in Wien beworben, etwa dreimal so viele wie einheimische Schulabgänger. Eine Handlung mit Kalkül: Die Chancen der Deutschen auf einen Studienplatz im Nachbarland sind seit gestern massiv gestiegen. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied, dass Österreich deutsche Numerus-clausus-Flüchtlinge nicht mehr pauschal abweisen darf.

Bisher hatten es österreichische Schulabgänger gut. Wenn sie die Matura (Abitur) bestanden hatten, konnten sie unabhängig von den Noten jedes beliebige Fach studieren. Ein Numerus clausus, der einen bestimmten Notendurchschnitt fordert, gab es nicht.

Möglich war dies aber nur, weil zugleich die Zulassung ausländischer Bewerber stark eingeschränkt wurde. Nur wer in seinem Heimatland den dortigen Numerus clausus und andere Zugangsvoraussetzungen erfüllt, kann sich in Österreich bewerben.

Diese Beschränkung zielte vor allem auf junge Deutsche, die ohne größere Sprachprobleme auch in Österreich studieren und so dem harten deutschen Numerus clausus, insbesondere in den Fächern Medizin und Zahnmedizin, hätten entgehen können.

Auf Klage der EU-Kommission hat gestern der EuGH jedoch das österreichische Universitäts-Studiengesetz beanstandet. Die Regelung stelle eine Diskriminierung ausländischer Studenten gegenüber ihren österreichischen Kommilitonen dar, urteilten die Richter. Dies sei mit dem EU-Vertrag nicht vereinbar. Es liege kein Missbrauch vor, wenn Deutsche von ihrem im EU-Vertrag garantierten Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, um in Österreich zu studieren.

Die Regierung in Österreich sieht das anders. Sie argumentierte, die Beschränkung sei gerechtfertigt, weil sonst das Hochschulsystem „strukturell, personell und finanziell“ überfordert wäre. So könnte im Fach Medizin die Zahl der Studienbewerber fünfmal so hoch sein wie die Zahl der vorhandenen Studienplätze.

Den EuGH-Richtern genügte dieser Hinweis nicht. Da die Wiener Regierung keine Zahlen zu anderen Studienfächern vorgelegt habe, sei das österreichische Bildungssystem „im Allgemeinen“ wohl nicht gefährdet.

Das gestrige Urteil kam nicht überraschend. Schon im Juli 2004 hatte der EuGH eine ähnliche Vorschrift in der Wallonie, dem französischsprachigen Teil Belgiens, beanstandet. Dort hatte man versucht, Studenten aus Frankreich fern zu halten.

Österreich hat sich bereits auf das Urteil vorbereitet und wird heute ein Gesetz beschließen, das es den Universitäten erlaubt, den Zugang zu den Hochschulen zu beschränken. So sollen sie eine Überfüllung der Hörsäle und Labore vermeiden. Möglich sind zum Beispiel Aufnahmeprüfungen für besonders beliebte Fächer. Ein landesweiter Numerus clausus, der nur auf die Abschlussnote bei Abitur oder Matura abstellt, ist aber nicht vorgesehen.

Solche Aufnahmeprüfungen sind zulässig, weil hier für Österreicher und Nicht-Österreicher die gleichen Bedingungen gelten. Die Chance der österreichischen Jugend auf einen Studienplatz im eigenen Land sinkt damit aber deutlich.

Nach Angaben der Wiener Zeitung Der Standard stehen in Österreich rund 8.400 Studienplätze in den Fächern Medizin, Veterinärmedizin, Zahnmedizin, Psychologie, Biologie, Pharmazie und BWL zur Verfügung. Dem stehen etwa 63.000 in Deutschland abgewiesene Bewerber gegenüber.

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