Ein Frust, zwei Systeme

HONGKONG 15 Jahre nach der Rückkehr zu China steckt die Exkolonie in einer politischen Krise. Peking und seine Statthalter sind unbeliebter denn je

„Die Menschen haben die Nase voll von einer Politik, die fette Katzen noch fetter macht“

LEE PENG-FEI, EXCHEF DER LIBERALEN PARTEI

VON FELIX LEE

PEKING taz | Schon die jährliche Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des Pekinger Tiananmen-Massakers von 1989 lockte zu Monatsbeginn mehr als 200.000 Hongkonger Bürger in den Victoria-Park, so viele wie lange nicht. Und der mysteriöse Tod des chinesischen Dissidenten Li Wangyang, der 21 Jahre in China im Gefängnis saß und plötzlich nach offiziellen Angaben Suizid begangen haben soll, trieb zuletzt Zehntausende auf die Straße.

Wenn an diesem Wochenende Chinas Präsident Hu Jintao kommt, um den 15. Jahrestag der Übergabe der britischen Kronkolonie an die Volksrepublik China zu feiern, könnte es zu einer der größten Demonstrationen in der Geschichte der 7-Millionen-Metropole kommen. Mit bis zu 250.000 Teilnehmern rechnen die Veranstalter aus der Demokratiebewegung in der autonomen Stadt („Ein Land, zwei Systeme“). Erstmals wird Chinas Präsident auf so viel Protest im eigenen Land stoßen. Denn der Unmut der Hongkonger ist groß.

Die Politik der vergangenen anderthalb Jahrzehnte habe dazu beigetragen, dass Hongkong die Stadt mit dem weltweit größten Wohlstandsgefälle ist, schreibt Lee Peng-Fei, Exchef der Liberalen Partei, in Hongkongs South China Morning Post. Und tatsächlich: Wer kein eigenes Geschäft besitzt oder im Finanzsektor arbeitet, büßt deutlich an Lebensqualität ein. Die ärmsten 10 Prozent verdienen heute 22 Prozent weniger als 1997. Zugleich machen die explodierenden Immobilienpreise auch dem Mittelstand schwer zu schaffen. Sie sind seit 2008 um 80 Prozent in die Höhe geschossen. „Die Menschen haben die Nase voll von einer Politik, die fette Katzen noch fetter macht“, schreibt Lee.

Vor allem der nun scheidende Regierungschef der Stadt, Donald Tsang, steht für diese Politik. Er ließ sich von der einflussreichen Wirtschaftselite der Stadt Reisen auf Jachten und in Privatjets sponsern. Er erwarb eine Luxuswohnung zum Spottpreis – während um ihn herum die Preise nach oben schnellten. Klüngel, Vetternwirtschaft und Korruption – am Ende der britischen Herrschaft als überwunden geglaubt – florieren wieder.

Für Hongkonger Journalisten hat sich in Tsangs Amtszeit auch die Situation der Pressefreiheit verschlechtert. In einer Umfrage gaben 87 Prozent an, dass sich für sie der Zugang zu Informationen erschwert habe und sie bei der Berichterstattung behindert wurden. Das sind 30 Prozent mehr als in einer vergleichbaren Umfrage 2007.

Besonders unter Beschuss steht derzeit Wang Xiangwei, neuer Chefredakteur der einst renommierten South China Morning Post. Gegen den Willen der Belegschaft hatte er einen Bericht über die Todesursache des Dissidenten Li verhindert. Die chinesischer Seite behauptet, der Dissident habe sich das Leben genommen. Seine Angehörigen hingegen gehen von Mord aus.

Tsangs Nachfolger Leung Chun-Ying versprach, er werde die Probleme angehen. An diesem Wochenende tritt er sein Amt an. Doch schon seine Ernennung stand unter keinem guten Stern. Er konnte sich bei den überwiegend von Peking bestimmten Wahlmännern nur durchsetzen, weil sein zunächst von der Wirtschaftselite favorisierter Konkurrent, der ehemalige Verwaltungschef der Stadt, Henry Tang, an einem Bauskandal beteiligt und damit nicht mehr tragbar war. Doch steht auch Leung der Regierung in Peking nahe. Wäre er es nicht, hätte er in dem an den Interessen der Elite ausgerichteten System auch gar keine Chance auf den Posten des Regierungschefs gehabt

2020 sollen in Hongkong erstmals freie Parlamentswahlen stattfinden, 2017 bereits Wahlen für einen neuen Verwaltungschef. Gelingt es Leung bis dahin nicht, den Hongkongern den politischen Frust zu nehmen, dürften auch seine Tage gezählt sein.