„Die Revolution unserer Individuen hat noch nicht begonnen“

TANZ Der tanzende Körper ist für Taoufiq Izeddiou Schrei und Freiheitssymbol. In Arabien sind noch nicht alle bereit dafür

INTERVIEW ASTRID KAMINSKI

In Marrakesch hat Taoufiq Izeddiou das erste Festival, die erste Kompanie und die ersten Ausbildungskurse für zeitgenössischen Tanz in Marokko gegründet. Seine Performance „Wenn du nicht weißt, wer du bist, schau dir an, wo du herkommst“ ist heute beim Festival „Voicing Resistance“ im Ballhaus Naunynstraße zu sehen.

taz: Sehen Sie nur so aus, oder stimmt es, dass Sie auch Boxer sind?

Taoufiq Izeddiou: Im Alter zwischen 14 und 19 Jahren habe ich geboxt. Aber meine Mutter, die erst froh war, dass ich deswegen weder rauchte, trank noch sonst dumme Sachen machte, hat sich plötzlich über meine zukünftige Gesundheit gesorgt und mir die Sache rigoros verboten.

Aber Tanzen war für Ihre Mutter in Ordnung?

Nein, nein, das musste ich heimlich tun. Später, als ich schon etwas Erfolg hatte, habe ich dann wie zufällig die Zeitungen mit den Artikeln zu Hause liegen lassen.

Sie sind einer der wenigen zeitgenössischen Tänzer aus dem arabischen Raum. Gibt es außer der Religion und den damit verbundenen Kleidervorschriften andere Gründe, warum es diese Kunstform dort so schwer hat?

Der Tanz wirft die wesentlichen Fragen auf: die der Religion, der Tradition, der Rolle des Körpers, des Individuums. Ein Individuum stellt vieles infrage, lehnt vieles ab, es baut Bezugssysteme zum anderen auf, aber es erkennt nicht notwendig Hierarchien an, es fordert freiere Beziehungen. Sein Körper wird zum freien Radikal. Dazu ist die Gesellschaft noch nicht bereit. Außerdem gibt es im Maghreb auch immer noch den Nebengeschmack von Kolonialismus und Neokolonialismus. Weil der Tanz oft, vor allem finanziell, mit den französischen Kulturinstituten in Beziehung steht, denken viele, es sei ein reines Importprodukt. Sie vergessen dabei, dass wir eigene Tanztraditionen haben, deren Weiterentwicklung wir nur vernachlässigt haben.

Der Körper sei ein Schrei, haben Sie einmal gesagt. Worunter leidet er am meisten?

Der Körper ist mit allem gefüllt, was ich erfahren habe: Erziehung, Ausbildung, Verletzungen, Formen des Fremdseins etc. Das kommt in Schwingung, wenn ich tanze – eine sich entladende Dissonanz. Als ich den ersten Workshop für Improvisation in Marrakesch gegeben habe, lief das auf drei Dinge hinaus: Rennen, Fallen, Schreien. Ich würde diese Erfahrung eigentlich gerne in Libyen wiederholen. Ich wäre gespannt, was dabei herauskäme. Leider kenne ich dort überhaupt keine Ansprechpartner oder Kulturinstitute.

Sie könnten sich mit einem deutschen Tänzer zusammentun und ans Goethe-Institut wenden. Ich glaube, das will dort neue Filialen aufmachen.

Fantastisch! Ich werde Missionar des Goethe-Instituts!

Womit wir wieder bei der Religion wären. Wirken sich die islamistischen Tendenzen in der arabischen Welt auf den Tanz aus?

Ja, aber man sollte diese Tendenz vielleicht nicht überbewerten. Die arabische Welt hat ihre Überväter gestürzt. Und weil sie nun fürchtet, den Halt zu verlieren, sucht sie ihn im übergeordneten Prinzip der Religion.

Ihr nächstes Stück soll „Rev’Illusion“ heißen.

Die Revolution unserer Individuen hat noch nicht begonnen. Aber auch wenn sich die Gesellschaftsstrukturen noch nicht groß geändert haben, bin ich sehr froh über die Entwicklungen. Wir haben jetzt den Mut zur offenen Konfrontation.

Sie haben in Marrakesch das zeitgenössische Tanzfestival „On marche“ gegründet. Wird es staatlich unterstützt?

Kein bisschen. Wir treten umsonst auf, auch die ausländischen Künstler, die ich einlade, kriegen keine Gage. Im Gegenzug biete ich an, meine Stücke gagenfrei bei ihnen zu zeigen. Außerdem bitte ich Freunde um Hilfe. Der eine stellt eine Unterkunft, ein anderer richtet ein Essen für 60 Personen aus, jeder trägt seinen Teil bei. Dazu gibt es noch Zuschüsse für Bühnenausrüstung oder Reisekosten vom französischen Kulturinstitut oder vom Goethe-Institut.

Gibt es genügend Publikumsinteresse?

Ja, da wir auch keinen Eintritt verlangen, kommen die Besucher sehr zahlreich.

Welche Tabus respektieren Sie, wie viel Zensur legen Sie dem Festival auf?

Natürlich sage ich den Tänzern, dass sie sich etwas zum Anziehen mitbringen sollen, außerdem keine Beleidigungen von Gott und König und nicht allzu viel Kontaktimprovisation zwischen Mann und Frau. Wir wollen ja niemanden verletzen, sondern einen Dialog schaffen. Wir haben zum Beispiel das Projekt „Tanz gegen Nahrung“ ins Leben gerufen: Wir werden in Privathäuser eingeladen und bekocht. Wir revanchieren uns mit Tanz. Diese Begegnungen sind sehr bereichernd. Ich habe mir überlegt, ein ähnliches Projekt mit Bildern zu versuchen, um so die Leute zu animieren, ihr Geld lieber für Kunstwerke als für ein weiteres Königsporträt auszugeben.

Können Sie das so sagen, ohne den König zu beleidigen?

Na ja, ich sage besser: Guckt euch den König im Fernsehen an, da ist er umsonst, und kauft euch außerdem ein schönes Bild, das eure Fantasie anregt.

■ „Wenn du nicht weißt, wer du bist, schau dir an, wo du herkommst“. Work-in-progress-Performance von Taoufiq Izeddiou, 14. 6., 19 Uhr, Ballhaus Naunynstraße, im Anschluss läuft der Film „Love during Wartime“