Wie man die Natur in die Großstadt holt

URBAN GARDENING Projekte, die öffentliche Freiflächen beackern, setzen damit Zeichen gegen umgreifende Ökonomisierung

Die Pflanzen wachsen in recycelten Bäckerkisten, Reissäcken und Tetrapaks

VON MAREIKE BARMEYER

„Wir haben ein altes Bettgestell benutzt, um unser Hochbeet zu bauen“, erklären Roman und Angela stolz. In ihrem Hochbeet wachsen dieses Frühjahr Radieschen, Kürbisse und Erbsen. Die Rechtsreferendarin und der angehende Lehrer aus Berlin sind seit letztem Sommer Mitglieder bei Rübezahl e. V., einem der drei Gemeinschaftsgärten, die 2011 auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof entstanden sind. Das Baumaterial für die Beete besteht aus allem, was man finden kann: Stühle, alte Schränken, Badewannen und Türen.

„Urban Gardening ist auch ein Kampf um Boden“, sagt Elisabeth Meyer-Renschhausen, eine der 13 OrganisatorInnen des Allmende Kontors, das mit 300 Beeten den größten Teil der Gemeinschaftsgärten auf dem Tempelhofer Feld ausmacht. Sie wollen öffentlichen städtischen Freiraum durch gemeinschaftliche, kooperative Nutzung und Gestaltung als Allmende (Gemeinschaftsgut) ins Bewusstsein bringen. Der Zwischennutzungsvertrag mit der Stadt läuft noch bis 2013, vielleicht wird er auch bis 2016 verlängert. Dann ist allerdings Schluss, weil die Vorbereitungen für die 2017 auf dem Flugfeld stattfindende Internationale Gartenschau beginnen.

Urbane Landwirtschaft ist kein neues Phänomen. Schon in den siebziger Jahren entstanden die Community Gardens in New York. Dies waren meist Armutsprojekte, wo Gemüse für Suppenküchen angebaut wurden. Auch in den Großstädten des globalen Südens bauen die ärmeren Menschen schon lange ihre eigenen Lebensmittel an. Aber heute, hier in Deutschland, gärtnern die Menschen meist nicht aus materieller Not heraus. Hier reagieren Städter auf globale Herausforderungen und erobern metropolitane Räume. Orte entstehen, an denen nicht nur gesunde Lebensmittel angebaut werden, sondern an denen auch Stadt, Natur und Gemeinschaft ganz anders erlebt wird.

Marco Clausen und Robert Shaw haben 2009 eine ungenutzte 6.000 Quadratmeter große Fläche mitten in Berlin-Kreuzberg vom Müll befreit und in einen lebendigen Nutzgarten verwandelt, den Prinzessinnengarten. Dort betreiben sie eine soziale, ökologische Landwirtschaft in der Stadt. Die Pflanzen wachsen in recycelten Bäckerkisten, Reissäcken und Tetrapaks. Diese Form von mobiler Landwirtschaft hat den Vorteil, dass der Garten jederzeit umziehen kann. „Wir können schnell reagieren, und der Garten kann sich den städtischen Prozessen anpassen“, sagt Marco Clausen. Das Gelände mieten sie von der Stadt an, bekommen aber immer nur für ein Jahr Nutzung zugesichert. Der Prinzessinengarten arbeitet neben der Umwandlung von Freiflächen in produktives Grün an der Schaffung von Orten, an denen man gemeinsam lernen und Dinge ausprobieren kann. Das angepflanzte Gemüse wird vor Ort verkauft, denn nachhaltiges Arbeiten, bedeutet für die Prinzessinnengärtner auch ökonomisch nachhaltig zu arbeiten.

Die Soziologin Christa Müller sieht die Urban-Gardening-Bewegung als ein Gegengewicht zum neoliberalen Regime: „Die Menschen reklamieren den öffentlichen Raum für das Gemeinwohl, und sie setzen der Ökonomisierung der Gesellschaft Orte des Eigensinns und des selbst bestimmten Tuns entgegen.“

Die deutsche urbane Landwirtschaftsszene konzentriert sich zwar noch stark auf Berlin, aber mehr und mehr Projekte entstehen in ganz Deutschland. Die Sehnsucht danach, das eigene städtische Umfeld nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, nimmt zu. Guerilla Gardening, eine Form des Gärtnerns, die auch als eine Intervention im öffentlichen Raum angesehen wird, findet zum Beispiel in fast allen Großstädten statt – meist nicht ganz legal. Bei solchen Projekten werden Plätze begrünt, Baumscheiben bepflanzt oder Samenbomben geworfen, um den Beton aufzureißen. In München arbeitet die Stadtverwaltung sogar schon mit Guerilla-Gärtnern zusammen. Sie liefert die Pflanzen.

Es gibt über 116 sogenannte interkulturelle Gärten in ganz Deutschland. Hier steht das kulturelle Miteinander und das interkulturelle Lernen im Mittelpunkt. MigrantInnen und Deutsche aus unterschiedlichen sozialen Milieus und Lebensformen können sich hier begegnen. Viele MigrantInnen bringen Erfahrungen in Gartenwirtschaft und Handwerk mit, die sie an solchen Orten austauschen können.

Guerilla Gardening, interkulturelle Gärten, Gemeinschaftsgärten, das sind alles unterschiedliche Formen eines Phänomens, nämlich dass sich Städter den Wunsch nach Selbstgestaltung und die Rückkehr zur Natur innerhalb der Großstadt ermöglichen. „So können wir in der Stadt leben und trotzdem ein Stück Natur erfahren“, sagt Roman und erntet die ersten Radieschen des Jahres.