Begegnungen: Unterwegs mit alten Feinden

Ein Reisebus von Prishtina nach Belgrad ist einer der wenigen Orte, wo Kosovoalbaner und Serben unweigerlich aufeinandertreffen.

Friedensbrücke im geteilten Mitrovica. Bild: dpa

Der Busbahnhof von Prishtina ist kein Ort, dem man zum Abschied hinterherweint. Die Wartehalle ist kahl und dunkel. Die Uhr neben der Anzeigetafel ist stehen geblieben. Vor der Tür bettelt ein kleiner Junge. Er lässt erst locker, als ihm eine junge Frau zwei Zigaretten gibt. Die Frau studiert die Tafel mit den Abfahrtszeiten. Ihr Gesicht versteckt sie hinter einer Sonnenbrille. Sie wird sich später als Renata vorstellen. Renata ist Serbin und war zu Besuch im Kosovo, wie schon einige Male zuvor. Doch willkommen hat sie sich nie gefühlt. Auch diesmal nicht.

Wer etwas über das Verhältnis zwischen Serben und Kosovoalbanern erfahren möchte, ist an Prishtinas Busbahnhof genau richtig. Haltestelle Nummer 10 ist einer der wenigen Orte, an dem die beiden Volksgruppen aufeinandertreffen, die sich sonst am liebsten aus dem Weg gehen. Dreimal täglich fährt hier der Bus nach Belgrad ab. Da das Kosovo noch über kein funktionierendes Schienennetz verfügt, ist er die einzige direkte Reiseverbindung nach Serbien.

Renata wartet mit einem großen roten Rollkoffer und zwei Umhängetaschen an der Haltestelle. Ob der Bus pünktlich sei, will sie von einem älteren Herrn wissen, der neben ihr steht. Sie fragt auf Englisch, nicht auf Serbisch. Es sei besser, wenn man sie für eine Touristin hält, sagt sie hinterher. Renata ist 34 Jahre alt. Sie ist Politikwissenschaftlerin, Konfliktforschung ist ihr Spezialgebiet. Anschauungsmaterial gibt es im Kosovo für sie genug. „Auf den Straßen ist vom Krieg längst nichts mehr zu sehen“, sagt sie. „Aus den Köpfen will er aber nicht verschwinden. Die Serben haben Angst, die Albaner können nicht vergessen.“

Mit zehn Minuten Verspätung verlässt der Bus den Bahnhof. Er ist klimatisiert, die Sitze sind bequem - fast alle sind belegt. Auf den ersten Blick wirkt es, als wäre Belgrad unter den Kosovaren ein beliebtes Ausflugsziel. Doch kaum einer ist freiwillig hier. Die einen schickt ihr Arzt,weil kompliziertere Behandlungen in Prishtina nicht möglich sind. Andere müssen in Belgrad Visa beantragen - für Länder, die das Kosovo auch ein Jahr nach dessen Unabhängigkeitserklärung noch nicht als Staat anerkennen.

Hinter Pristina reihen sich am Straßenrand Autowerkstätten und Schrottplätze aneinander. Ehemalige deutsche Notarztwagen lagern ausgeweidet neben ramponierten Trabis. Die meisten Autos hier sind um ein Vielfaches älter als das Land, in dem sie ihren letzten Dienst verrichten. Renata sitzt alleine in der letzten Reihe des Busses. Wenn sie von den Problemen erzählt, die sie als Serbin sogar an der Universität mit ihren albanischen Kollegen hat, tut sie das mit gedämpfter Stimme. „Es gibt ein tiefes Misstrauen“, sagt sie. „Das merkt man in jedem Gespräch.“

Auch zehn Jahre nach dem Ende des Kriegs sind immer noch nur rund sieben Prozent der Einwohner im Kosovo serbisch. Die UN, die bis heute im Kosovo stationiert sind, beobachten intensiv das Verhältnis zwischen den beiden Ethnien. Im August vergangenen Jahres veröffentlichten sie dazu eine Studie, die die bis heute existierenden tiefen Gräben aufzeigt. Demnach ist nur jeder zweite Albaner überhaupt bereit, mit einem Serben zusammenzuarbeiten. Umgekehrt ist die Ablehnung sogar noch größer.

Der Blick aus dem Busfenster zeigt immer weniger Moscheen, in den Tälern tauchen die ersten Kirchen auf. Statt muslimischer Grabsteine sind auf den Friedhöfen am Straßenrand jetzt leuchtend weiße Kreuze zu sehen. Serbien rückt näher. Auch jetzt, als der Bus die ehemaligen Kampfgebiete durchquert, will außer Renata niemand über Politik sprechen. „Der Schmerz sitzt noch zu tief“, sagt ein Albaner, der mit seiner siebenjährigen Tochter unterwegs ist. Als sie geboren wurde, war der blutige Konflikt schon lange vorüber. Doch mit seinen Auswirkungen wird auch das kleine Mädchen leben müssen.

Der Bus erreicht die Grenze. Ginge es nach den Serben, dürfte es sie gar nicht geben. Sie betrachten das Kosovo immer noch als Teil ihres Gebiets. So entsteht eine paradoxe Situation: Zwar kontrolliert der Beamte mit der extrabreiten Ray-Ban-Brille die Pässe, Einreisestempel darf er aber nicht verteilen. Touristen, die nur einen kosovarischen Stempel haben, bekommen hier deshalb ernste Probleme.

Nach dem Reisebus aus Prishtina hält der serbische Zöllner einen Pkw mit kosovarischem Kennzeichen an. Damit sie weiterfahren darf, muss die Fahrerin das Nummernschild gegen ein serbisches austauschen lassen. Die blonde, großgewachsene Frau lässt die Prozedur über sich ergehen. Auf ihrem T-Shirt steht: „Protect yourself“.

Nach drei Stunden macht der Reisebus an einem Rastplatz halt. Ein junger Mann mit dichten schwarzen Locken springt aus dem Bus, reckt die steifen Glieder und reibt sich den Schlaf aus den Augen. Eldin, 21, ist schon seit sieben Uhr morgens unterwegs. Er stammt aus einem Dorf in der Nähe von Prizren, ganz im Süden des Kosovos, und er hat diese Strecke schon dutzende Male hinter sich gebracht. „Früher“, sagt er, „war es schwieriger, über die Grenze zu kommen, heute haben sich alle daran gewöhnt.“

Bild: graphikbüro mitte

Im Jahr 2004 hat Eldin mit seiner Familie das Dorf verlassen, in dem er aufgewachsen war. Die Schule hatte irgendwann ihre Türen dicht gemacht - und seither nie wieder geöffnet. Eldins Familie nahm das zum Anlass, das chaotische Kosovo ganz hinter sich zu lassen. Sie zog nach Sarajevo und später weiter nach Italien. In ihr Haus kommt sie nur noch in den Ferien. Immerhin: Sie hat noch eins.

Wenn man Eldin fragt, was er von Belgrad und seinen Bewohnern hält, blockt er ab: „Wir bleiben da nicht, wir fahren sofort weiter.“ Der Krieg, der Konflikt, die Serben und die Grenze: Auch für Eldin, der schon seit Jahren im Ausland lebt, sind das Tabuthemen, die er möglichst weit hinter sich lassen will und wegzulächeln versucht.

Auf der Weiterfahrt wird es wieder still im Bus. Auch Eldin schweigt jetzt. Es gibt nichts, was man einander zu sagen hätte. Vor dem Fenster ziehen die Hügel Serbiens vorbei, dazwischen Industriegebiete und Plattenbauten. Autowracks gibt es hier kaum noch. Gräber auch nicht.

Es ist Abend, als der Bus schließlich in Belgrad ankommt. Der Bahnhof ist hell und sauber. Eine alte Frau verkauft Blumen am Straßenrand. Sieben Stunden hat die Fahrt gedauert. Sieben Stunden, in denen sich Albaner und Serben zumindest räumlich so nah waren, wie sonst selten. Innerhalb weniger Minuten leert sich der Bus. Nur ein paar leere Aludosen und Kaugummipapiere bleiben zurück. Wenn der Busfahrer durch die Sitzreihen geht, um aufzuräumen, sind die Passagiere schon im Gewusel der Belgrader Nacht verschwunden. Ab jetzt geht jeder wieder in seine eigene Richtung.

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