Lobby für moderne Ausgebeutete

Die Generation Praktikum schlägt zurück. Sie wehrt sich in diversen Initiativen gegen den Missbrauch ihrer Kreativ- und Arbeitskraft. Und auch vor Gerichten erzielt die PraktikantInnenrepublik die ersten Erfolge gegen Unternehmen, die sie für alles einsetzen – aber für nichts bezahlen wollen

AUS BERLIN OLIVER VOSS

Das BWL-Studium hatte Tina Richter in der Regelstudienzeit durchgezogen. Nebenbei absolvierte sie ein Auslandssemester und vier Praktika. Nach dem Abschluss bewarb sie sich als Marketingassistentin bei der „Caritas Altenhilfe“. Die junge Frau setzte sich in verschiedenen Tests gegen die Mitbewerber durch. Im Einstellungsgespräch wurde ihr dann eröffnet, wie ihr neuer Job im ersten Monat aussieht: Sie musste erneut als Praktikantin arbeiten. Unbezahlt.

Fälle wie der von Tina Richter haben der „Generation Praktikum“ verstärkt öffentliche Aufmerksamkeit beschert. Aus den schlecht bezahlten Kaffeekochern von einst sind Allroundjobber geworden – die nichts bekommen. Es werden Spezialkenntnisse und Arbeitserfahrung verlangt. So schwer es anfangs ist, in den Teufelskreis hineinzukommen, so schwer ist es heute, ihn in Richtung bezahlter Jobs wieder zu verlassen. Mit der Hoffnung auf eine Stelle lassen sich immer neue Praktikanten ködern.

Tina Richter wehrte sich. Sie klagte am Berliner Arbeitsgericht gegen die „Senioren Service GmbH“, eine Verwaltungsfirma der „Caritas Altenhilfe“. Sie begründete ihre Klage damit, dass es sich bei dem Praktikum um ein „verschleiertes Angestelltenverhältnis“ gehandelt habe. „Ich hatte von Anfang an die gleichen Aufgaben wie in den Folgemonaten, das war definitiv kein Praktikum“, sagte die Sechsundzwanzigjährige – und forderte eine Nachzahlung für den ersten Monat. In der Güteverhandlung hat sie sich mit der Firma auf Zahlung der Hälfte des geforderten Monatseinkommens von 2.000 Euro geeinigt.

Schon in einem älteren Urteil des Arbeitsgerichtes Berlin (Az.: 36 Ca 19390/02) heißt es: „Bei einem Praktikantenverhältnis steht nicht der Austausch von Arbeitsleistung gegen Entgelt, sondern der Ausbildungszweck im Vordergrund“. Die Rechtslage ist also klar. Der Missbrauch der Arbeitskraft eines Praktikanten kann den Tatbestand des Lohnwuchers nach Paragraf 138 BGB erfüllen. Problematisch ist nur der Nachweis.

„Ich wollte die Möglichkeiten aufzeigen, die man als Praktikant hat“, sagt Richter. Daher hat sie auch den Verein „Fairwork“ als Interessenvertretung von Hochschulabsolventen gegründet. Es gibt inzwischen etwa 100 Mitglieder und jede Woche kommen ein Dutzend Mails, in denen Betroffene um Rat fragen.

Neben Fairwork sind verschiedene Initiativen entstanden. Langsam formiert sich eine Praktikantenlobby. Das Magazin Karriere vergibt ein Gütesiegel für „Fair Companies“, die bestimmte Regeln im Umgang mit Praktika einhalten. Bisher haben sich 177 Unternehmen unter anderem dazu verpflichtet, eine angemessene Aufwandsentschädigung zu zahlen und keine Absolventen zu ködern. Es gab auch schon Beschwerden gegen Verstöße. Adidas-Salomon wurde ausgeschlossen und mehrere Firmen verwarnt, da sie zum Beispiel in Anzeigen Hochschulabsolventen gesucht hatten. „Ich hoffe, dass es zu einem Umdenken kommt“, sagt Karriere-Redakteurin Dorothee Fricke. „Die Unternehmen müssen sehen, dass es falsch ist, kurzfristig auf billige Arbeitskräfte zu setzen, und die Leute sollten nicht jedes Praktikum annehmen.“

Fairwork geht noch einen Schritt weiter und fordert einen Mindestlohn für Hochschulabsolventen in Höhe des Arbeitslosengeldes II sowie die Begrenzung der Praktika auf höchstens 4 Monate. „Alles andere ist Ausbeutung“, so die Fairwork-Vorsitzende Susanne Rinecker auf einer Podiumsdiskussion, welche DGB-Jugend und die taz in Berlin veranstalteten. Wer die Aussicht auf Übernahme stellt, müsse nach dieser Zeit die Arbeitsleistung einschätzen können.

„Das Wort Ausbeutung ist total passend“, sagte Christian Kühbauch, Bundesjugendsekretär der DGB-Jugend. Die fordert einen Mindestlohn für Praktikanten: 300 Euro für Studenten, bei Absolventen das Doppelte. Nach einer solchen Maßnahme würden die Praktikantenstellen zugunsten von Volontariaten, Trainee- und anderen Berufseinstiegsprogrammen zurückgehen, waren sich die Referenten der Veranstaltung einig.

Inzwischen schimpfen auch Politiker auf die „Praktikumsrepublik“. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement etwa ist Schirmherr von „Fair Company“. Auf einen offenen Brief von Tina Richter hatte sein Büro vergangenes Jahr noch harsch reagiert. Clements Mitarbeiter vertrösteten die Absolventin damit, dass die Arbeitslosenquote anderer Bevölkerungsgruppen noch viel schlechter sei und sie Arbeitslosengeld II beantragen könne.

Das Projekt „Students at Work“ beim DGB hat derweil einen Leitfaden für ein „Faires Praktikum“ erarbeitet und will sich verstärkt für Praktikanten einsetzen. Mit einer Studie soll die Dimension des Phänomens erfasst werden. „Die Rechtslage ist gar nicht schlecht“, sagt Kühbauch, doch die Praktikanten müssten ihre Rechte auch wahrnehmen. Denn bei allem Lamentieren über die Situation gilt: „Praktikanten sind Opfer und Täter zugleich.“

„Fairwork“, Vertretung ausgebeuteter Praktikanten, www.fairwork-verein.de. „Students at Work“ des DGB. www.students-at-work.de. „Fair Company“, Gütesiegel, www.karriere.de/fair-company. Blog der „Generation Praktikum“, www.generation-praktikum.de