Polizei darf Millionen Handydaten abfragen

ÜBERWACHUNG Gericht erklärt Erfassung von Mobilfunknutzern bei Demo für rechtmäßig

„Wir werden den Fall notfalls bis ganz nach oben tragen“

Johannes Lichdi, Grüne Sachsen

BERLIN taz | Das Amtsgericht Dresden hat es für rechtmäßig erklärt, dass die Polizei mehr als eine Million Handydaten abgefragt hat während der Anti-Nazi-Demos in Dresden am 19. Februar 2011. Sowohl die Anordnung als auch der Vollzug seien erlaubt gewesen, teilte die Staatsanwaltschaft Dresden am Freitagabend mit. Das Gericht, welches seinerzeit auch die richterliche Anordnung zur Funkzellenabfrage gegeben hatte, wies die Anträge von acht Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit ab.

Es habe ein hinreichender Tatverdacht bestanden, begründete das Amtsgericht das Urteil. Ohne eine Funkzellenabfrage hätten die „begangenen Straftaten (Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie gefährliche Körperverletzung) nicht oder kaum aufgeklärt“ werden können. Die Beschlüsse seien „erforderlich, geboten und angemessen“ gewesen und daher der „mildeste Eingriff in die Rechtspositionen unbeteiligter Dritter“.

Rund um die jährliche Demo gegen den Naziaufmarsch in Dresden hatten die Behörden letztes Jahr mehr als eine Millionen Handyverbindungsdaten ermittelt – auch von Unbeteiligten wie Demonstranten, Journalisten, Anwälten und Politikern. Bis heute werden die Daten ausgewertet. Von mehr als 55.000 Personen wurden zudem Bestandsdaten abgefragt, also zur jeweiligen Rufnummer auch Name, Anschrift und Geburtsdatum.

So sollten zum einen schwere Straftaten während der Demo wie Landfriedensbruch und Körperverletzung aufgeklärt werden. Zum anderen sollten laufende Ermittlungen gegen eine kriminelle Vereinigung unterstützt werden. Auf was sich das Gericht genau bezogen hat, ist unklar. Weder Gericht noch Staatsanwaltschaft waren bis Montagnachmittag erreichbar.

Die taz hatte den Skandal vor einem Jahr aufgedeckt. Es entwickelte sich eine bundesweite Debatte über die sächsische Datensammelwut. Der Dresdener Polizeipräsident musste wegen mangelnder Informationspolitik seinen Hut nehmen, Datenschützer liefen Sturm, der Bundestag debattierte. Inzwischen wird über eine Gesetzesverschärfung im Bundesrat diskutiert.

Die sächsischen Grünen wollen den Vorfall nun erneut im Landesparlament behandeln. Johannes Lichdi, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im sächsischen Landtag, kritisiert die Informationspolitik der Behörden. Betroffene und ihre Anwälte hätten bis heute keine vollständige Akteneinsicht bekommen. Lichdi vertritt als Anwalt die Thüringer Grüne Astrid Rothe-Beinlich, die als Betroffene klagt. „Sobald wir da ein Urteil haben, werden wir den Fall notfalls bis ganz nach oben tragen“, sagt Lichdi. Auch Anwältin Kristin Pietrzyk, die vier Betroffene vertritt, ist empört. Sie habe von dem Beschluss aus den Medien erfahren. „Das ist unfassbar.“ Für sie ist klar: „Das ist noch nicht das Ende der Geschichte.“

PAUL WRUSCH

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