Klimabewegung in Russland: Der Kusbass grüßt Lützerath

Russische Koh­le­geg­ne­r:in­nen haben sich mit dem Klimaprotest in Lützerath solidarisiert. Ihr Engagement wird in Russland immer gefährlicher.

Blick auf den Tagebau des Sibirischen Kohleenergie-Unternehmens SUEK in der Nähe der Stadt Zarechny

Kraterlandschaften wie auf dem Mond: Kohleabbau im russischen Saretschny Foto: Maxim Kiselev

BERLIN taz | Eine dicke Schneedecke liegt über der Landschaft, die wegen der vielen Krater aussieht, als befände man sich auf dem Mond. Zweistellige Minusgrade herrschen zurzeit in der südsibirischen Region Kusbass, Russlands größtem Kohlerevier.

Eine Gruppe von sieben Menschen guckt ernst in die Kamera, alle sind dick eingepackt in Anoraks, Mützen, Fellkapuzen. „Liebe Einwohner von Lützerath und alle die, die ihr gegen die Energiegesellschaft kämpfen tut“, sagt eine Frau auf Deutsch mit russischem Akzent in die Kamera. „Euer Kampf gegen die Energiegesellschaft ist sehr wichtig, weil es ein perfektes Beispiel dafür ist, wie ein Mensch seine Rechte und sein Leben schützt.“

Es ist eine Videobotschaft russischer Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen an ihre deutschen Mitstreiter:innen, die im Januar den nordrhein-westfälischen Ort Lützerath vor der Abbaggerung bewahren wollten – aber nach Tagen mit Tausenden Protestierenden komplett geräumt wurde. Der Energiekonzern RWE, die „Energiegesellschaft“, wie sie in dem Video bezeichnet wird, will unter Lützerath Braunkohle fördern. Den Kampf gegen die Kohle teilen die russischen Klimaaktivist:innen, auch wenn die Bagger im Kusbass Steinkohle abbauen, wenn sich ihre gigantischen Schaufelräder durch die Landschaft fräsen. Aus Sicherheitsgründen nennen sie nicht ihre Namen oder das genaue Datum, an dem das Video aufgenommen wurde.

Dass das Video authentisch ist und die Menschen darin wirklich lokale Koh­le­geg­ne­r:in­nen sind, bestätigt aber einer, der sich in der Szene bestens auskennt: Anton Lementuev. Er koordiniert im Kusbass die lokalen Initiativen gegen die Kohle für die Umweltorganisation Ecodefense, deren Gründer Wladimir Sliwjak 2021 den Alternativen Nobelpreis bekam. Lementuev steckt außerdem hinter dem Dokumentarfilm „Сondemned“, der Menschenrechtsverletzungen durch den Kohlebergbau in der Region verfolgt. Er selbst hält sich derzeit nicht in Russland auf – zu gefährlich. Russland hat Ecodefense als „ausländischen Agenten“ eingestuft, was den Behörden ein rigides Vorgehen gegen die Um­welt­schüt­ze­r:in­nen ermöglicht.

2020 gab es noch ein großes Protestcamp

„Viele Menschen im Kusbass beobachten aus der Ferne, wie die einfachen Menschen in Deutschland gegen die mächtigen Kohleunternehmen kämpfen“, sagt Umweltaktivist Lementuev der taz. „Die Menschen im Kusbass können sich nicht gegen den Krieg aussprechen, das ist gefährlich, aber sie können solidarisch sein, weil sie mit den Ak­ti­vis­t:in­nen in Lützerath sympathisieren und sie verstehen.“ Die Menschen im Video seien maßgeblich an Protesten gegen eine neue Kohleverladestation direkt neben dem Dorf Tscheremsa beteiligt gewesen. Im Sommer 2020 hatte es dort noch ein großes Protestcamp gegeben. Die Ak­ti­vis­tinnen und Aktivisten bewirkten tatsächlich den Stopp des Projekts. Bis heute haben sie allerdings mit zum Teil heftigen Strafverfahren zu kämpfen. Das Video zeige sie auf einem Stück Land, das ohne ihren Protest heute bebaut wäre, berichtet Lementuev.

Auch wenn sich die Ak­ti­vis­t:in­nen in dem Video nicht ausdrücklich gegen Putin wenden, ist die Aufnahme nicht ungefährlich. „Diese Leute sind bei der Aktion ein großes Risiko eingegangen, weil sie deutsche Ak­ti­vis­t:innen unterstützten, denn die russische Propaganda spricht ständig davon, dass Deutschland die ukrainische Armee unterstützt“, sagt Lementuev.

Viele Ak­ti­vis­t*in­nen haben das Land verlasse

Die Bedingungen für den Umwelt- und Klimaaktivismus in Russland sind seit Beginn des Krieges in der Ukraine noch deutlich schwieriger geworden. Politische Restriktionen und die Unterdrückung sowie die Verfolgung jeglicher Artikulation von Unzufriedenheit im Land haben weiter zugenommen. Einige Umwelt- und Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen haben sich wie Lementuev entschlossen, das Land zu verlassen und weiterhin offen zu sprechen. Einer von ihnen ist Arshak Makichyan, eines der berühmtesten Gesichter von Fridays for Future in Russland. Im vergangenen Frühjahr floh er nach Berlin, nachdem er sich solidarisch mit der Ukraine gezeigt hatte. Anfang Februar entzog Russland ihm und seiner Familie die Staatsbürgerschaft. Makichyans Verwandte bekamen nur Stunden bis wenige Tage, um das Land zu verlassen.

Eine Expertengruppe des Dachverbands Russian Socio-Ecological Union hat in der vergangenen Woche einen Überblick über den Druck auf russische Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen im Jahr 2022 veröffentlicht. Das Fazit auch dort: Repressionen gegenüber Ak­ti­vis­t*in­nen nehmen zu. „Im Vergleich zu 2020 und 2021 ist die Zahl der strafrechtlichen Verurteilungen mit Haftstrafen gestiegen“, heißt es in dem Bericht. Demnach wurden im vergangenen Jahr neun Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen verurteilt, von denen sieben Haftstrafen erhielten. Sie müssen für ihr Engagement zwischen zwei und fünfeinhalb Jahren ins Gefängnis.

Weitere 15 Ak­ti­vis­t:in­nen saßen zeitweise in Verwaltungshaft. Das heißt, dass die Polizeibehörde den vergleichsweise kurzen Gewahrsam ohne Gerichtsurteil verhängen kann – offiziell, um schwerwiegenden Straftaten vorzubeugen. Wer mehrfach so festgenommen wurde, dem kann zudem ein Strafverfahren vor Gericht drohen. Zudem wurden laut dem Bericht zwei Personen im Zusammenhang mit der Strafverfolgung zwangspsychiatrisch untergebracht. Fünf Umweltorganisationen, die zuvor teils Dutzende Jahren gearbeitet hatten, wurden zu „ausländischen Agenten“ erklärt. Eine davon gibt es seitdem nicht mehr, drei weitere sind derzeit dabei, sich aufzulösen.

Lokale Kampagnen gibt es noch

Auf staatlicher Ebene hat Russland den Umwelt- und Klimaschutz nicht offiziell fallen gelassen. Etliche Ex­per­t:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen befürchten aber, dass sich das mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine ändern könnte: dass die schwierige wirtschaftliche Lage durch den Krieg, unter anderem durch die Sanktionen anderer Länder, zu einer Aufhebung oder Lockerung von Umwelt- und Klimagesetzen führen könnte. Erste Schritte in diese Richtung hat es schon gegeben, so wurden manche Umweltstandards für Fahrzeuge aufgehoben. Außerdem sollen Regeln für Naturschutzgebiete immer weiter gelockert werden. Einige Kampagnen versuchen, das zu verhindern. Das wird jedoch immer schwerer. Offizielle Möglichkeiten zur Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung wurden noch weiter eingeschränkt. Wer auf eigene Faust protestiert, riskiert viel.

Trotz der gefährlichen Lage bleiben viele Ak­ti­vis­t:innen im Land. Sie engagieren sich in Kampagnen gegen lokale Umweltprobleme, zum Beispiel Verschmutzung durch die Industrie, schlechte Luftqualität, die Abholzung von städtischen Grünflächen. Oder eben gegen den Kohleabbau, wie im Kusbass. In ihrer Videobotschaft greifen sie einen alten deutschen Sponti-Spruch auf: „Nicht umsonst haben die Teilnehmer der Umweltbewegung in den siebziger Jahren gesagt: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“

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