im idyll mit van morrison von WIGLAF DROSTE
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Van Morrison kann mit seiner Stimme Bereiche der menschlichen Seele öffnen, von deren Existenz man selbst erst dadurch erfährt, dass Van Morrison sie berührt. Als er 1989 mit den Chieftains „Irish Heartbeat“ aufnahm und von der biblischen „Creature made of Clay“ sang, war seine Stimme der Lehm, aus dem der Mensch geknetet wird.

Zehn Jahre später, auf „Back on Top“, beschwor er die Idylle des „High Summer“: „Checked in to the tiny Village by the Lakeside / Settled down to start a-new / Far away from the Politicians / And the many Chosen Few.“ Van Morrison kann ohne Frage glücklich machen.

Weil er diese Fähigkeit besitzt, kann Van Morrison auch furchtbar enttäuschen und wehtun – indem er, der gottvolle Mann, ein Konzert demonstrativ lustlos herunterschrubbt wie im Juni 2002 im Berliner Tempodrom. Seinem Publikum, das ihm dennoch zu huldigen bereit war, gab die übellaunige irische Diva nichts. Am Ende schmiss Morrison seinen Zuhörern sogar ein brüllend laut vom Band abgespieltes „Hit the Road, Jack!“ ins Gesicht. Der Mann weiß, wie man schlägt.

Man kann nicht unpersönlich über Van Morrison schreiben, denn seine Musik rührt an Persönlichstes. Seine Stimme gibt so viel Wahrheit preis, zeigt so viel Liebe, Schmerz, Groll, Sehnsucht, kindlichen Trotz, Zartheit und Verlangen, man kann nicht ohrenvoyeuristisch dasitzen, das ablauschen und dann nichts zurückgeben.

Die Süße und ich liegen am Mecklenburger See, Mund an Mund, umschlungen und in Decken gekuschelt. Eben noch schwammen wir, tauchten, damelten im Wasser herum. Niemand ist hier, kein Mensch jedenfalls außer uns, die Vögel aber rabastern in den Bäumen, als gelte es das Leben, und ein schnittig über den See paddelndes Blesshuhnpärchen zeigt vier kleinen, sehr neuen und sehr wolligen Küken die Welt, auf die sie gerade gekommen sind. Der Wind raschelt in den Blättern der Buche, unter der wir liegen. Von der Festplatte meiner Erinnerung schaltet sich Van Morrisons Stimme dazu: „The Wind in the Willow, and the Piper at the Gates of Dawn.“

Wir ziehen uns an und hüpfen den Waldweg zurück. Da ist etwas auf dem Weg, etwas sehr Großes, Schwarzes. Ein Bär? Ein riesiger Hund? The Hound of the Baskervilles? In Mecklenburg? Das nun doch nicht: Der dunkle Brocken ist ein Wildschwein, ein Keiler. Er ist schwarz und gewaltig, und zwei Sekunden später ist er nicht mehr allein. Frau Wildschwein ist bei ihm, ebenfalls nicht eben schwach auf der Brust, und Kinder haben die beiden auch dabei: sechs äußerst frische Frischlinge trippeln durch die Büsche, Frau Mutter führt sie flink ins Dickicht, derweil Herr Keiler dusteren Gesichtes den Abzug sichert. Dann knackst es noch mal heftig, und der paradiesische Moment ist vorbei – einer dieser Augenblicke, in denen einem das Herz ganz aufgeht, oder, wie Peter Hacks dichtete: wo dem Menschen „die Knoten sich entflechten, die man ihm ums Herz geschnürt“.

Wo Gott wohnt, muss ich nicht wissen, aber Hauptwohnsitz Chez Wildschwein & Blesshuhn könnte gut hinkommen. Zuweilen aber, das kann man hören, besucht Gott ein altes, störrisches irisches Mufflon namens Van Morrison.