Polizist wegen Demoprügel verurteilt: Ein Schlag in den Rücken

Amtsgericht Tiergarten verurteilt Polizisten für Faustschlag auf "Freiheit statt Angst"-Demo. Grüne sehen "Warnschuss", Gewerkschaft verteidigt "rechtmäßige Polizeigewalt".

Der Schlag in den Rücken - festgehalten auf Youtube Bild: Youtube

Über ein Jahr ist die 2009er "Freiheit statt Angst"-Demonstration her, aber ein Vorfall beschäftigt noch immer die Öffentlichkeit: der "Mann in Blau". Ein Radfahrer, von Polizisten brutal festgenommen - vor filmenden Handykameras. Am Montag nun wurde der Polizeieinsatz erstmals vor Gericht verhandelt. Das Urteil: Ein Beamter wird zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro verurteilt. Aber nicht weil er den "Mann in Blau" traktiert hat, sondern weil er einen anderen Demonstranten in den Rücken geboxt hatte.

Das Privatvideo war Beweisgrundlage vor dem Amtsgericht Tiergarten. Es zeigt den Potsdamer Platz, kurz nach Ende der "Freiheit statt Angst"-Demo. Erst ist zu sehen, wie ein Polizist dem 37-jährigen Fahrradfahrer mit der Faust ins Gesicht schlägt. Dann protestieren Demonstranten lautstark gegen den Einsatz, darunter der Grünen-Bundestagsreferent Oliver Feldhaus und der 23-Jährige Adrian L. Feldhaus wird von Polizisten umgeschubst, L. will ihm aufhelfen - und erhält von einem Beamten einen Faustschlag in den Rücken.

Vor Gericht zeigt sich der schlagende Polizist Erkan C. reuig. "Aus heutiger Sicht war die Maßnahme wahrscheinlich nicht erforderlich", so der 30-Jährige. Aber in der damaligen Situation habe er die Festnahme des Radfahrers absichern müssen und Adrian L. bereits zwei Platzverweise ausgesprochen. Als L. plötzlich wieder auftauchte und sich "ruckartig" umdrehte, habe er einen Angriff befürchtet, erklärte Erkan C. "Ich habe aber nicht geschlagen, sondern ihn weggestoßen."

Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International über gewalttätige Polizisten hat am Montag den Innenausschuss des Abgeordnetenhauses beschäftigt. In dem im Sommer veröffentlichten Bericht ist Berlin mit vier Fällen vertreten. Politik, Polizei und Justiz hätten sich ausführlich damit befasst, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Die Empfehlung von Amnesty, den Polizeigewahrsam mit Kameras zu überwachen, lehnte er ab. Die geforderten Namensschilder für Polizisten würden bald eingeführt.

Zu den in dem Bericht dokumentierten Fällen gehört ein Einsatz in der Diskothek Jeton. Bei einer Durchsuchung des Spezialeinsatzkommando (SEK) waren im August 2005 zahlreiche Gäste verletzt worden. Danach hatte Polizeipräsident Dieter Glietsch die individuelle Kennzeichnung des SEK angeordnet. Die Beamten agieren grundsätzlich vermummt.

Bei den anderen Fällen ging es um einen Mann, der bei seiner Festnahme in seiner Wohnung mit einem Polizeischutzschild verletzt worden war, eine Demonstrantin, die am 1. Mai 2007 in Kreuzberg niedergeknüppelt wurde, sowie um einen 18-Jährigen, der mit über 2 Promille Alkohol in Polizeigewahrsam gekommen war und sich dort das Leben genommen hatte.

Körperverletzung im Amt sei bei der Polizei kein Massendelikt, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Benedikt Lux. Es gebe aber "ein Zuviel" von Einzelfällen. Insbesondere bei den Einsatzhundertschaften vermisse er eine Sensibilisierung.

Laut Polizeipräsident Glietsch wird bei dem Delikt Körperverletzung im Amt in der Statistik nicht nach Tätern differenziert. Alle Amtsträger würden gemeinsam erfasst, also auch Lehrer, Gerichtsvollzieher und Ähnliche. In diesem Jahr sei wegen dieses Delikts bislang in 418 Fällen ermittelt worden. Das sei der niedrigste Wert seit zehn Jahren. 2009 waren es 718 Fälle. PLU

Das sieht die Richterin anders: Sie verurteilt C. zu 4.800 Euro Geldstrafe wegen Körperverletzung im Amt. "Die Aktion war nicht verhältnismäßig, von dem Opfer ging keinerlei Bedrohung aus." Adrian L. habe mit dem Rücken zu C. gestanden, dem am Boden Liegenden aufhelfen wollen - und dafür ein schmerzendes Hämatom am Rücken kassiert. Strafmildernd wertete die Richterin die "stressbeladene Situation". Das Video aber spreche "eine ganz eindeutige Sprache". Dort sei "ganz klar" ein Faustschlag, kein Schubsen zu sehen.

Ein 21-Jähriger hatte den Vorfall gefilmt und auf der Internetplattform Youtube veröffentlicht. Die entscheidenden Szenen sind zwischen Sekunde 12 und 14 zu sehen. Daraufhin ermittelte die Polizei von Amts wegen. Adrian L. hatte keine Anzeige gestellt. "Ich hätte gar nicht gedacht, dass das überhaupt zum Prozess kommt", so der Software-Entwickler. "Solche Vorfälle sind ja leider Demo-Alltag." Zur Gerichtsverhandlung kam es nur, weil C. einen Strafbefehl von 7.200 Euro nicht akzeptiert hatte.

Die Polizei plant vorerst keine dienstrechtlichen Schritte gegen C. "Es bleibt die Rechtskraft des Urteils abzuwarten", so ein Sprecher. Mit der Höhe der Geldstrafe gilt C. als nicht vorbestraft.

Klaus Eisenreich von der Gewerkschaft der Polizei bewertete das Urteil kritisch. Er könne das Handeln des Angeklagten nachvollziehen, man dürfe nicht den aufgeladenen Kontext der Situation vergessen. "Polizisten dürfen und müssen rechtmäßige Gewalt anwenden", so Eisenreich. Auch Verteidiger Rüdiger Portius hatte betont, dass sich Erkan C. im Rahmen "rechtmäßigen polizeilichen Handelns" bewegt habe. Er forderte Freispruch.

Zeuge Oliver Feldhaus sprach dagegen von einer absolut überzogenen Polizeiaktion. "Das ist demokratieschädlich." Sein Parteifreund, der Innenexperte Benedikt Lux, wertete das Urteil als "Warnschuss". Natürlich dürfe die Polizei rechtmäßige Gewalt anwenden - ein Schlag in den Rücken gehöre nicht dazu, so Lux. "Es sollte Standard sein, solche Taten zu verurteilen, aber nicht immer ist eine Kamera dabei."

Im eigentlichen Fall "Mann in Blau" wird dagegen immer noch ermittelt. "Der Abschluss erfolgt in den nächsten Wochen", sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Der Verteidiger des Geschädigten, Johannes Eisenberg, zeigt sich "fassungslos" über das Endlosverfahren. "Auch hier ist doch alles per Video dokumentiert, der Fall seit November 2009 ausermittelt."

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