DAUMENKINO
: Die Vermissten

Lothar (André M. Hennicke) lebt nach einer in die Brüche gegangenen Ehe mit einer neuen Partnerin zusammen. Dass er mit seiner Exfrau eine mittlerweile 14-jährige Tochter hat, verrät er nicht. Eines Tages der Anruf: Das Kind ist verschwunden. Der erste Kontakt zwischen den geschiedenen Eheleuten ist unsicher, schließlich fließen Tränen am Küchentisch: „Hätte ich doch nur besser aufgepasst!“

„Die Vermissten“ beginnt wie ein deutscher Problemfilm klassischen Zuschnitts. Spröde Dialoge im westdeutschen, nach unten gut abgesicherten Milieu an jener Kippstelle in der Provinz, die sich zwischen Stadt und Land per Auto rasch entscheiden kann. Ein gesellschaftsrelevantes Thema bringt das Kolorit in den Film: Lothar ist für die Sicherheit in einem Kernkraftwerk zuständig, dazu bilden stoisch kreisende Windräder den dräuenden Gegenpol in der Bildkomposition der ländlichen Kulisse. Die Einstellungen sind lang, oft länger als nötig – zuweilen wirken sie wie eine formelle Konzession. Und wo es dem Bild guttäte, als solches stumm in seiner Ambiguität stehen zu bleiben, folgt eine ausformulierte Konkretion oder eine hastig nachgereichte Erklärung. Aber vielleicht sind das verzeihliche Unsicherheiten eines Langfilmdebütanten.

Stille Apokalypse

Dass der Film dann doch nicht ins Elend des kargen Problemfilms abrutscht, sondern sich einer die Kunst nicht aus den Augen verlierenden Konzeption des Genrefilms zuwendet, macht ihn schließlich doch interessanter, als man eingangs denkt: Lothar stößt bei seiner manischen Suche nach dem Kind auf weitere Vermisstenfälle, ein Geheimbund – symbolisiert im Emblem einer geflügelten Ratte, der Lothar oft begegnet – scheint hinter der Sache zu stecken. Lothar verliert sich im verregneten Hinterland, während in den nahen Ortschaften eine Art stille Apokalypse im Gang zu sein scheint: Die Kluft zwischen Alt und Jung scheint unüberwindbar.

Sehr unmerklich wandelt sich der Problemfilm dabei zum Vertreter einer Tradition der fragilen Kunstfilmfantastik, wie man sie etwa auch aus den atmosphärisch dichten Okkult-Horrorfilmen der 70er Jahre kennt, ohne dabei allerdings die per se naturalistische Ästhetik zu verraten. Eher heben sich Ahnungen und Latenzen unter das Geschehen, die sich zunehmend verdichten und schließlich fassbare Realität werden – und auch das Bild kommt nun recht souverän und weitgehend ohne klärende Erläuterungen zu seinem Recht.

THOMAS GROH

■ „Die Vermissten“. Regie: Jan Speckenbach. Mit André M. Hennicke, Luzie Ahrens u. a. Deutschland 2012, 86 Min.