Musterschüler Mario Monti

EUROPA Die Staaten der Gemeinschaft machen brav die von Angela Merkel verordneten Hausaufgaben. Das hilft aber nichts – der Lehrplan ist falsch

■ ist seit dem Jahr 2000 Italienkorrespondent der taz. Er lebt in Rom und hofft darauf, dass sich demnächst auch in diesem Land eine außerparlamentarische Opposition formiert.

Ich denke deutsch.“ Es ist einer jener Sätze, die Mario Monti – seit nunmehr fast sechs Monaten Italiens Ministerpräsident – immer gerne sagt. Erst vor wenigen Tagen fand er wieder Gelegenheit, sich in einer Rede dankbar für den Berliner Druck auf sein Land zu zeigen: „Ohne die aktuellen Haushaltseinschränkungen wäre Italien ein Land, das im Nichts vagabundieren würde“, bemerkte er.

Und Haushaltsschnitte im Gleichschritt mit Steuererhöhungen hat es in Italien – genauso wie in den anderen Krisenstaaten – in der Tat reichlich gegeben. Zugleich aber zeigt sich, dass alle bisherigen Interventionen keineswegs zum erhofften Resultat, zur Beruhigung der Finanzmärkte und damit zu einem deutlichen Rückgang der auf die Staatsschulden fälligen Zinsen, geführt haben. In einem ersten Moment sank der spread, der Zinsabstand, gegenüber Deutschland zwar deutlich: Hatte er im November 2011, in den Tagen des Rücktritts Silvio Berlusconis, noch über 5 Prozent gelegen, so fiel er nach den Spar- und Reformbeschlüssen der Regierung Monti in den folgenden Monaten auf knapp unter 3 Prozent.

Wo bleibt Italiens Wende?

Doch die Illusion, die akute Phase der Eurokrise sei überwunden, zerstob spätestens im April, als der spread wieder auf über 4 Prozent hochschoss – und mit dieser Illusion zerstob auch die Hoffnung, die Krisenstaaten müssten nur die ihnen von Berlin und Brüssel diktierten „Hausaufgaben“ machen, um die Wende zu neuer Prosperität einzuleiten.

Italien muss zwar noch nicht die gleiche, schwindelerregende Abwärtsspirale gewärtigen, die Griechenland oder Spanien erleiden. Doch auch die Regierung Monti ist mit dramatischen Zahlen konfrontiert: Für dieses Jahr wird ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um 1 bis 2 Prozent erwartet, in den letzten zwölf Monaten gingen 500.000 Jobs verloren, die Jugendarbeitslosigkeit ist schon über 35 Prozent geklettert.

National aber, so scheint es, sind dem Kabinett Monti genauso wie den Regierungen der anderen Krisenstaaten die Hände gebunden. Weitere radikale Kürzungen im Staatshaushalt, weitere drastische Steuererhöhungen? Sie würden nur die Rezession weiter verschärfen – und so die Zweifel der Finanzmärkte an der Solvenz der Schuldner nähren.

Stattdessen nun mutige Wachstumsprogramme, um die Konjunktur wieder anzuschieben? Auch dieser Ansatz ist illusorisch, da neue, im nationalen Alleingang beschlossene Schulden sofort von Berlin, Brüssel und wohl auch von den Märkten sanktioniert würden.

Dennoch macht die Regierung in Rom unverdrossen weiter. Als nächstes steht die spending review auf dem Programm, die kritische Durchleuchtung der Staatsausgaben auf weitere Einsparpotenziale dank rationaler Mittelbewirtschaftung. Das wird ein paar Milliarden bringen, mehr aber auch nicht. Zugleich soll der Kündigungsschutz aufgeweicht werden. Niemand aber erwartet, dass dann mitten im Abschwung hunderttausende neue Jobs entstehen.

Und jetzt: „Fiscal Compact“!

Einen „neuen europäischen Kontext“ forderte denn auch Monti in seiner Rede vom letzten Mittwoch. Wohl deshalb gibt er so gerne den Musterschüler Deutschlands, unterstreicht er immer wieder, dass Italien Deutschland „danken muss“ für den von Berlin durchgesetzten Finanzrigorismus. Wohl deshalb auch haben Montis Unterhändler gegenüber der Regierung Merkel angeregt, die Parlamente beider Länder könnten ja den „Fiscal Compact“ am selben Tag verabschieden, um ein starkes Zeichen europäischer Stabilitätssolidarität zu setzen: Im zweiten Schritt möchte Musterschüler Monti dann „La Merkel“ in die Pflicht nehmen: in die Pflicht für auf europäischer Ebene angeschobene Initiativen für neues Wachstum. Einige Vorschläge liegen schon auf dem Tisch – und in Italien sind sie quer durchs politische Spektrum, von rechts bis links, weitgehend Konsens. Da wären die „Euro Project Bonds“, auf europäischer Ebene aufgenommene Schulden, mit denen Infrastrukturprojekte aufgelegt werden sollen. Da wäre ein flexiblerer Umgang mit den Vorschriften zur Begrenzung des staatlichen Defizits.

Der italienische Staat zum Beispiel sitzt auf unbezahlten Rechnungen in der Höhe von mindestens 70 Milliarden Euro: Geld, das er Lieferanten und Dienstleistern schuldet. Viele Firmen im Land rutschen auch deshalb in die Pleite, weil der säumige Schuldner Staat sich Monate, manchmal Jahre Zeit lässt, um seine Außenstände zu begleichen. Könnte dagegen diese enorme Summe zügig überwiesen werden, wäre das ein enormes Konjunkturprogramm.

Zudem wünscht Rom, dass staatliche Investitionen aus der Defizitkalkulation herausgerechnet werden. Das aber geht nur, wenn die EU grünes Licht gibt, statt Italien dann umgehend als Defizitsünder an den Pranger zu stellen.

Die Wirtschaftsleistung bricht ein, 500.000 Jobs gehen verloren, die Jugendarbeitslosigkeit klettert auf 35 Prozent

Was macht Paris?

Ein „neuer europäischer Kontext“: Das heißt aber auch unweigerlich eine neue Konstellation der Kräfte in Europa. Schon zu Beginn seiner Amtszeit suchte Monti deshalb den engen Kontakt zu Frankreich – in der Hoffnung, in einem neuen Dreieck Berlin–Paris–Rom den Druck auf die Bundesregierung erhöhen zu können. Der Präsidentschaftswahlkampf setzte diesem Ansinnen enge Grenzen – jetzt aber, da Frankreich gewählt hat, darf wieder mit Versuchen gerechnet werden, die Karten in der Eurozone neu zu mischen. Es überrascht nur auf den ersten Blick, dass nicht bloß die italienische Linke, sondern auch das Gros des Berlusconi-Lagers François Hollande große Sympathie entgegenbrachten: Nicht so sehr der Sozialist, sondern der französische Politiker, der vieles neu verhandeln will, wurde da mit einem Vertrauensvorschuss bedacht.

Die Regierung Monti dagegen übte – anders als Kanzlerin Merkel – strikte Neutralität. Denn wie immer der neue französische Präsident heißt: Nur eine Allianz mit ihm öffnet Italien und den anderen Eurokrisenstaaten eine realistische Perspektive, Europas Krisenmanagement neu zu definieren und so der – auf nationaler Ebene nicht zu stoppenden – Spirale von Austerität und Abschwung zu entrinnen.

MICHAEL BRAUN