Ein Haus für alle Fälle

Zehn BauherrInnen erstellen einen Neubau in Mitte. Nach zweijähriger Diskussion bezieht die Baugruppe nun individuelle und flexible Wohnungen – die auch noch billiger sind als marktüblich

VON TINA HÜTTL

Sein zukünftiges Arbeitszimmer erinnert Winfried Reichwaldt an eine Tiefgarage. Die Wand, vor der bald sein Schreibtisch steht, ist aus schmutzgrauen Sichtbeton, dessen Blasen und Löcher selbst von Weitem nicht zu übersehen sind. Für sein neues Zuhause hatte er sich eigentlich immer weiße Rauhfasertapeten gewünscht. Doch Reichwaldt und seine Frau Kyong-Hi sind mehr als zufrieden – nach zwei Jahren Arbeit können sie nun ihre Maisonettewohnung beziehen. Fast jeder der 130 Quadratmeter entspricht ganz ihren Wünschen – und da, wo es doch anders aussieht, wurden sie letztlich von den beiden Architekten Roedig und Schop überzeugt.

Die Reichwaldts sind Teil der Baugruppe A 52. Die hat sich in der Anklamer Straße 52 in Mitte ein Wohnhaus hingestellt. Ein Neubau und zehn BauherrInnen auf sechs Stockwerken. Seit Juli 2003 kennen sich die Eigenheimerbauer, seitdem haben sie auf wöchentlichen Treffen unzählige Stunden über den besten Anbieter für die Fassadenarbeiten und den Farbanstrich im Treppenhaus diskutiert. „Man ist richtig zusammengewachsen“, sagt Reichwaldt. Dadurch sei die Gefahr eines Nachbarschaftskriegs so gut wie gebannt, meint der Arzt für Neurologie und Psychiatrie. Schon im Vorfeld wurden Mechanismen zur Konfliktlösung installiert und erprobt.

Dabei haben sich, wie der Architekt und Initiator der Baugruppe, Ulrich Schop, sagt, sehr unterschiedliche Menschen zusammengefunden: Schwule Paare, Unverheiratete mit oder ohne Kinder – die meisten sind Lebensgemeinschaften, doch außer den Reichwaldts gibt es keine klassischen Familien. Geeint seien alle durch den hohen gestalterischen Anspruch an ihr Haus. Und den Wunsch zu sparen. Im Schnitt, rechnen Experten, kommt das gemeinsame Bauen rund ein Viertel billiger, weil es effizienter und zügiger vorwärts geht. Die A 52 kostet der gebaute Quadratmeter Wohnfläche rund 1.600 Euro inklusive Grundstückskosten. Vieles – etwa die Gestaltung des kleinen Gemeinschaftsgartens – machen die Mitglieder der Gruppe in Eigenregie. Als „in die Höhe gestapelte Eigenheime“ bezeichnet das Architektenpaar, das selbst mit einzieht, den modernen Neubau. In der schlichten Außenfassade springen die Fensterfronten unregelmäßig je nach Stockwerk. Denn je nach Nutzungsbedarf haben die Bewohner den Grundriss ihrer 135-Quadratmeter großen Etage individuell gestaltet, bis auf die Außenwände und das Treppenhaus ist für die Konstruktion nichts tragend. Möglich sind zwei Wohneinheiten mit separaten Eingängen oder ein Luxusapartment.

Wie im 5. Stock, den Reichwaldts Bruder Markus und dessen Lebensgefährte beziehen. Nur ein kleines Bad und ein Schlafzimmer sind durch Wände abgetrennt. Der Rest ist offener Raum und durchmisst 15 Meter. Von der Betondecke bis zum Parkettboden reichen die großen Doppelfenster zur Straßenseite. Wenn sie offen stehen, fühle man sich, sagt der Architekt Christoph Roedig, wie auf einer italienischen Loggia – mitten in Berlin. Ein Stockwerk darunter wird ein Paar mit dem Sohn der Frau einziehen. Der 18-Jährige bekommt eine Einliegerwohnung, die Trennwände zu den Eltern können jedoch jederzeit wieder verschwinden.

Einen separaten Eingang, ein eigenes Bad und eine Küche haben auch Mimi und David, die Kinder der Reichwaldts. „Für sie ist es der Abflugplatz, wenn sie weg sind, werden wir auch den ersten Stock beziehen“, sagt Winfried Reichwaldt, mit 52 Jahren der Älteste der Baugruppe. Fast jeder Winkel im Erdgeschoss der Maisonettewohnung, wo er und seine Frau wohnen werden, ist aus dem Gemeinschaftsgarten einsehbar. Bis ins Klo geht die Sichtachse von Draußen, eine Tür gibt es aber schon. Eine Baugruppe habe schließlich nichts mit einer Kommune am Hut, sagt Architekt Roedig: „Jeder von uns hat ein großes Bedürfnis nach Privatheit.“

Ein gewagtes Experiment ist die intensive Zusammenarbeit trotzdem. Reichwaldt sagt, er würde sich ärgern, hätte er nicht mitgemacht. Neben dem Menschlichen habe er viel über Bauplanung und moderne Architektur gelernt: Selbst die Betonwand im Arbeitszimmer findet er nun „spannend“. Und falls er sich daran nicht gewöhnt, lässt sich die ganz leicht verputzen.