Rockmusiker Udo Lindenberg: "Ich bin ein Trademark"

Ein Bildband zeigt die vergangenen vier Jahre Udo Lindenberg - fotografiert von Tine Acke, seiner derzeitigen Freundin. Ein Gespräch über würdiges Altern in Lindenbergs Zweitwohnsitz, der Raucherlounge des Hotels Atlantic.

Zwischen Notarzt und großer Bühne: Udo Lindenberg mit seiner Fotografin Tine Acke. Bild: dpa

Udo Lindenberg schleicht mit brennender Davidoff durchs qualmfreie Luxushotel Atlantic, seinem Erstwohnsitz, in Richtung Raucherlounge, seinem Zweitwohnsitz.

Udo Lindenberg: Na, wir gehen jetzt mal schön ins Separee.

taz: Gern - Herr Lin…?

Ich bitte dich!

Also - Udo. Du bist im Bildband gleich zu Beginn ohne Brille zu sehen. Ein Unfall?

Nein, nein. Das Ding hat ja Tine gemacht und es ist ihr Lieblingsfoto von mir. Very personal. Eigentlich sollte das ja nur ein Geburtstagsheftchen werden für mich. Da meinte ich, das sind so geile Fotos, die dürfen wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, die Blackbox der letzten vier Jahre meines Lebens, immer zwischen Notarzt und großer Bühne.

geboren im westfälischen Gronau, begann in den 70ern als Schlagzeuger bei diversen Hamburger Bands. Seinen Durchbruch hatte er 1973 mit dem Album Andrea Doria. Seit einiger Zeit tritt er auf Kreuzfahrschiffen auf. In der Hamburger Hafencity will er ein "Panik-Museum" eröffnen - mit seinen Gemälden.

Auch ein Abgesang?

Nein, nur eine fotografische Zwischenbilanz. Ich habe noch viel vor. Nächstes Jahr erstmal MTV-unplugged, da checke ich gerade Lou Reed und es sieht ganz gut aus. Jan Delay ist natürlich auch dabei.

Mit dem jungen Rapper bist du eng befreundet.

Sehr. Wir sind ein echtes Team geworden, sind viel zusammen, tauschen uns aus, hören Demos, quaken uns voll, checken unsere Sounds. Der verändert sich ständig, das imponiert mir, hier Hip-Hop, da Disko, dann Soul.

Gibts 2011 von dir auch eine Platte?

Den Soundtrack meines Musicals, das im Frühjahr nach Berlin kommt. Aber ein ganz neues Album schaff ich erst in drei Jahren. Vorher brauche ich Zeit für Abenteuer, neue Eingebungen, weltweit. Es ist ja nicht so schwierig, Musik zusammenzustellen; das Themenfinden ist es.

Politischere Themen als früher?

Das wäre mein Plan.

Ist das eine Frage des Alters?

Ich war ja früher auch politisch. Straßenlieder, die DDR, wozu sind Kriege da, Waffenhandel, Atomkrieg aus Versehen, all so was. Aber nicht so sehr Tagespolitik und Barschel in der Badewanne. Doch jetzt freu ich mich erstmal über den Bildband.

Udo drückt eine halbe Zitrone in seinen Tee. In manchen Momenten wirkt er erstaunlich klar, manchmal driften seine Gedanken ins Genuschel ab. Und nie ist wirklich sicher: Hat man einen Menschen vor sich oder ein Image?

In dem Bildband bist du auf jedem Bild mit Hut und Brille zu sehen. Bist das du?

Das bin schon ich. Ich gehe zwar nicht mit dem Hut ins Bett, aber mit ihm schwimmen. Ich hab eine tolle Frisur, nur dass der Scheitel immer höher rutscht. Der Hut steht mir seit 1980. Warum soll ich da jetzt noch was dran ändern?

Und die Brille?

Nicht ganz so lang, aber mit der sehe ich besser, vor allem in die Ferne. Außerdem ist es ein Schutzvisier, mein Schutzschild, weil ich den ganzen Tag observiert werde. Aber ich wollte ja immer, dass die Leute über den kleinen Jungen aus Gronau sagen, da geht der berühmte Udo L., der Macher aus der Provinz, der sein Ding regelt. Ich bin ein Trademark und das pflege ich.

Man weiß gar nicht, wie du ohne aussiehst.

Zum ersten Mal in 20 Minuten blickt Udo Lindenberg unter seiner tief sitzenden Hutkrempe hervor und dann lüftet er kurz seine Brille. Sind eigentlich ganz warme Augen und seit Ewigkeiten vor Lichteinfluss geschützt auch erstaunlich junge. Seine Freundin Tine Acke betritt die Raucherlounge. "Oh, da ist Tine", sagt Lindenberg. "Danke für das Buch!"

Gibt es bei deinen Auftritten eine Konstante?

Die eigene Sprache, die ich erst erfinden musste. Meine Shows sind auch die gleichen, felliniesk, würde ich mal sagen, mit vielen Darstellern, viel Wirkung. Vor mir gab es im deutschen Rock ja nur Rio Reiser, "Macht kaputt was euch kaputt macht", sehr wichtig für mich, für alle.

Und ungeheuer politisch.

Ernst vor allem. Dem wollte ich eine Partyband gegenüberstellen und alles auf den Kopf stellen mit Udo ohne Hut, ein good looking man, das kam an.

Bis Mitte der Neunziger wenigstens.

Da hatte ich eine künstlerische Krise. Die Sinnkrise nicht zu wissen, wie man den Schritt vom Jugendidol zum würdevollen Rockchansonnier hinkriegt. Das haben nur wenige geschafft, McCartney, Dylan, David Bowie, solche Kaliber. Ich zuerst nicht. Anfang der Neunziger dachte ich, jetzt ist alles vorbei, mein Lebenswerk ist over.

Also Ruhestand.

Ich hatte jedenfalls große Zweifel. Dazu Notarzt, Kliniken, zu viel Alkohol, der ganze Scheiß. Dann hab ich gemerkt: Das schaffst du nur, wenn du fit bist. Viel Sport, kein Saufen, lieber andere Drogen, sonst kriegst du die Kurve nicht.

Das Ende der Kurve war "Stark wie zwei" 2008, dein erstes Nr.-1-Album. Hat dich der Erfolg überrascht?

Schon. Und alles dokumentiert im Bildband. Ich sehe das als eine Hommage an die Freundschaft zu all den Leuten, die mir dabei geholfen haben.

Was finden junge Leute wie Jan Delay oder deine Freundin Tine an einem wie dir?

Die Sprache. Jan hat mir erzählt, als kleines Kind lief ich im Autoradio seiner Eltern und er war wie elektrisiert. Daran hat er sich später erinnert und gemerkt, dass man gute Sachen auch auf Deutsch singen kann. Kein Rilke, Hesse, NDW, sondern Umgangssprache, die sich nach einer langen Phase der deutschen Sprachlosigkeit, all dem Nazischeiß und Schlagerdreck, erst neu bilden musste in der Musik. Da war ich ausersehen, mittlerweile singen alle deutsch wie der Alte.

"Der Greis ist heiß", steht im Buch.

Das ist eine Persiflage auf Gleichaltrige, die im Sterbeflanell rumlaufen und Kindern Angst vorm Alter machen.

Fühlst du dich denn alt?

Manchmal, wenn ich meine Glieder strecke. Innerlich bin ich zeitlos.

Aber 100 wirst du nicht?

Ich sage immer, wenn grad keine Freunde zuhören (flüstert): noch zehn, vielleicht 15 Jahre.

Trinken tust du nicht mehr.

Früher dauernd, heute gezielt.

Früher, sagt er, hätte hier eine Flasche Whisky gestanden, jetzt verschüttet er bei jedem Griff zur Tasse Tee. Lindenberg wirkt fahrig für einen Berufsjugendlichen, aber fit für einen Mann Mitte Sechzig. Er zieht an seiner Zigarre, die längst erloschen ist.

Wirst du noch mal sesshaft, mit eigener Wohnung oder Häuschen im Grünen?

Niemals. Ich bleibe in Hotels, ich liebe die Anonymität, die Unverbindlichkeit. Zurzeit fahre ich gern Schiff. MS Deutschland, Queen Mary.

Überall mit Brille und Hut?

Unbedingt. Abenteurer brauchen Schutzschilder. Aber vielleicht wechsel ich irgendwann mal meine Frisur.

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