Skala des Glücks

Flow bezeichnet einen Zustand höchster Konzentration und völliger Versunkenheit in eine Tätigkeit: Optimal für Musiker, behaupten einige. Andere sind skeptisch. Der Bremer Psychologe Andreas Burzik versucht, es zu beweisen

Es ist ein tranceartiger Zustand. Außerordentlich beglückend“, sagt Herr Burzik. Er sagt es mit jener Freundlichkeit, die einen in ihrer Nachdrücklichkeit ein wenig zurückschrecken lässt. Aber schließlich ist Andreas Burzik Psychologe und Pionier dazu, Vorreiter des Übens im Flow und dazu gehört vermutlich ein gewisses Verkaufstalent.

Deshalb steht er jetzt trotz Gipsbeins im Übungsraum der Deutschen Philharmoniker in Bremen-West, neben ihm die russische Physiologin Olga Bazanova und die Musikstudentin Maria Uhlig. Maria ist von jener Sanftheit, die ihr Name verheißt, überdies hat sie einige Stunden bei Burzik absolviert, um das Üben im Flow zu erlernen und nun wird sie von Olga Bazanova verkabelt. Wenn alles gut geht, wird heute das Üben im Flow wissenschaftlich untermauert. „Das Flow-Konzept ist in harten, wissenschaftlichen Kreisen nicht besonders gut angesehen, weil es eher deskriptiv ist“, sagt Andreas Burzik vorsichtig.

Das soll sich ändern, sobald die Alphaströme, die während des Flow-Erlebnisses durch Marias Gehirn wandern, über die Elektroden an ihrem Kopf auf Olga Bazanovas Laptop zu sehen sein werden. Wobei nicht Andreas Burzik, sondern der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihaly den Begriff des „Flow“ geprägt hat. Der bezeichnet damit den Zustand höchster Konzentration und völliger Versunkenheit in eine Tätigkeit. Genau das sollen Musiker erreichen, wenn sie nach Andreas Burziks Methode üben, die er einst „intuitiv“ gefunden hat.

Für ein so außerordentliches Resultat wirkt der Weg dorthin erstaunlich schlicht: Wer das Üben im Flow erlernen will, muss vier Prinzipien beherzigen: Körperkontakt zum Instrument herstellen, einen Klang erzeugen, den man selbst als wohltuend empfindet, das Gefühl der Anstrengungslosigkeit bewahren und spielerisch mit den Stücken umgehen.

Jetzt sitzt Maria vor dem schwarzen Flügel und soll Schumanns „Waldszenen“ im Flow vortragen. „Erlaube dir mehr Zeit“, sagt Burzik, der nicht nur Psychologe ist, sondern als ausgebildeter Geiger auch musikalisch kompetent. „Schwelge darin“, sagt er, während Maria auf seinen Fuss im Gips schaut. Maria, die ihm als Gehbehinderten vorhin freundlich-dienstbar das Wasser gebracht und das Gefühl hat, auch das schwerste Stück spielen zu können, wenn sie nach der Flow-Methode übt. „Wie war das?“, fragt Burzik. „Einzelne Momente sehr hoch. Neun bis zehn“, sagt Maria.

Im Bestreben der Verwissenschaftlichung hat Andreas Burzik nämlich eine Skala der Flowintensität entwickelt, dazu gibt es einen Fragebogen, in dem man ankreuzen kann, inwieweit der Kopf „völlig klar ist“ oder „etwas Wichtiges für mich auf dem Spiel steht“. Und natürlich gibt es Olga Bazanova, die sehr aufmerksam vor ihrem Labtop sitzt und auf eine verwirrende Menge von EEG-Strömen blickt. Die Beta-Ströme, so heißt es, stehen für Stress und eine nach außen gewandte Aufmerksamkeit, während die Alpha-Wellen Entspannung bedeuten. Olga Bazanova trägt eine praktische Kurzhaarfrisur und macht einen energetischen Eindruck. Vermutlich hätte sie ihr Institut für Molekularbiologie und Biophysik der russischen Akademie der biomedizinischen Wissenschaften in Nowosibirsk, Westsibirien nicht verlassen, wenn sie keinen Sinn in der Verkabelung von Maria und elf anderen Musikstudenten sähe. Wobei Andreas Burzik zart andeutet, dass ihre Interessen nicht ganz dieselben seien. Während es ihm um die Begründung seiner Methode gehe, wolle Olga Bazanova prüfen, ob sie sich für Biodfeedback eigne. Das, erklärt sie, sei eine wohlbekannte Technik und in Russland seit den 90er Jahren weit verbreitet.

Ihr Institut entwickelt interaktive Computerprogramme, mit denen die Anwender üben können, den Puls zu regulieren oder die Konzentration zu steigern, indem sie beispielsweise einem Taucher zusehen. Der steigt um so tiefer, je ruhiger ihr Pulsschlag ist. Die Programme verkaufen sich gut, das Stück rund 200 Euro, der Markt ist international. Aber: „Niemand hat bislang Biofeedback für den musikalischen Bereich untersucht“, sagt Bazanova.

Eckart Altenmüller, Professor für Musikphysiologie in Hannover hat Olga Bazanova kürzlich in Leipzig auf einer Konferenz getroffen. „Sie wirkte auf mich nicht sehr solide“, sagt er und genauso wenig solide scheint ihm Andreas Burziks Untersuchung. Der hatte ihm einst eine Kooperation angeboten, die Altenmüller ablehnte, weil er die Zahl der Probanden für viel zu gering für eine seriöse Untersuchung hält. Und die Übe-Methode? „Die ist sicherlich Bestandteil jeden guten Übens“, sagt Altenmüller ein bisschen trocken.

Andreas Burzik hat mittlerweile einige Golf-Spieler von seiner Methode überzeugen können. Und dennoch: „Bislang habe ich nicht das Gefühl, dass realisiert wurde, was ich meine“. Kürzlich hat Olga Bazanova ihm eine begeisterte e-Mail geschrieben. Es gebe auffällige Korrelationen. Wenn das stimmt, dann werden sie im Sommer eine wirklich große Studie in Novosibirsk machen. Friederike Gräff