Muss man Springer boykottieren?
JA

JUBILÄUM „Bild“, „Welt“, „BamS“: Am 2. Mai wäre Axel Springer 100 geworden. Nicht jeden versetzt das in Feierlaune

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Ottfried Fischer, 58, Schauspieler, führt einen Prozess gegen einen Bild-Reporter

Ja, der Springer-Verlag sollte boykottiert werden. Da fehlt es vehement an Achtung der Menschenwürde. Allein für auflagenfördernde Schlagzeilen werden Menschen – weit über das Maß der Humanitas hinaus – Verderben, Ruin, Hysterie, Angst, seelischem Leid der Angehörigen ausgeliefert und in der ganzen Gesellschaft gemobbt, solange es die künstlich hoch gehaltene, aufgeblasene Geschichte zulässt. Möglich bloß durch einen Bild-spezifischen Pressefreiheitspopanz, der der Zeitung dazu verhilft, in gottähnlicher Attitüde Leute brutal und ohne Barmherzigkeit, unter Geringachtung von Leib und Leben, bis hin zur Zerstörung der Existenz zu jagen.

Klaus Staeck, 74, ist Grafikdesigner und Präsident der Akademie der Künste in Berlin

Gemeinsam mit Böll, Grass und Rühmkorf habe ich 1981 erfolgreich den Aufruf gestartet: „Wir arbeiten nicht für Springer-Zeitungen“. Was für mich heute noch gilt – kein Interview für die Bild-Zeitung. Wer meint, man könne mit ihr auf Augenhöhe einen Deal machen, der sei an den Paternostervergleich erinnert. Senkt die Bild-Zeitung den Daumen, geht es abwärts. Sie ist die tägliche bösartige Versuchung für den, der in das Blatt mit den großen Schlagzeilen kommen will, wie auch für den skandalgeilen Leser. Springer zu boykottieren wäre allerdings so ähnlich, wie die Niagarafälle durch ein quergestelltes Kanu aufhalten zu wollen. Aber wir sollten der Bild-Zeitung nicht kampflos die mediale Lufthoheit überlassen.

Susanne Jacoby, 30, leitet die Campact-Kampagne „Keine Bild in meinen Briefkasten“

Der Boykottaufruf gilt zumindest am 23. Juni, wenn Springer alle Haushalte ungefragt mit einer Gratis-Bild zum 60. Jubiläum „zwangsbeglücken“ will. Keine andere Zeitung wird so oft vom Presserat dafür gerügt, dass sie Tatsachen verdreht und Persönlichkeitsrechte verletzt, wie die Bild. Darum bietet Campact auf bild-absagen.de die Möglichkeit, dem Springer-Verlag mitzuteilen, dass man die Bild-Zeitung nicht einmal geschenkt haben möchte. Generell würde ich aber nicht zu einem Springer-Boykott aufrufen. Natürlich muss man darauf achten, dass sich nicht zu viel Macht bei einem Medienkonzern konzentriert. Die Pressefreiheit muss aber für die Bild-Zeitung genauso gelten wie für die taz.

Winfried Buck, 48, verkauft seit 2010 keine Bild-Zeitung mehr an seinem Kiosk

Das Geschickte an der Bild-Zeitung ist, dass sie unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit die Gesellschaft spaltet. Nach der Pro-Sarrazin-Ausgabe vor anderthalb Jahren reichte es mir: Nach diesen extrem rassistischen, populistischen und ausländerfeindlichen Aussagen nahm ich die Bild-Zeitung wutentbrannt aus dem Programm. Alternativ hatte ich erwogen, täglich einen Zettel auf die Bild-Zeitung zu kleben mit der Aufschrift: Das schlechteste Blatt, das Sie hier kaufen können. Bezeichnenderweise sagt der Bild-Käufer ja selbst: Eine Blöd-Zeitung bitte. Niemand würde zum Bäcker gehen und sagen: Ich hätte gern ein Scheiß-Brötchen.

Jack Maier, 23, ist Grafikdesign-Assistent und beantwortete die sonntaz-Frage per Mail

Man sollte den Springer-Verlag boykottieren, denn die Bild-Zeitung ist eines der furchtbarsten Medieninstrumente, die in Deutschland agieren. Tagtäglich sorgt dieses Blatt nicht, wie etwa der Werbeslogan vermuten lässt, für Meinungsbildung des Lesers – sondern formt vorgefertigte Meinungen. Sie schämt sich dabei auch nicht im Geringsten dafür, dass daraus Hetzkampagnen entstehen. Die Bilder sind ebenso diskriminierend wie die Texte: Im Mittelteil wird Tag für Tag jede abgebildete Frau auf ihre Brüste reduziert.

NEIN

Heide Simonis, 68, ehemalige Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins, verklagte die Bild-Zeitung

Springer: Ich kenne Leute, die, wenn sie diesen Namen hören, Atemnot bekommen. Nicht wenige Male gehörte ich dazu. Privates wurde allzu oft rücksichtslos ausgeschlachtet, Freunde zogen sich zurück, aus Angst, selbst ins Fadenkreuz zu geraten. Noch schlimmer als Axel Springer sind heute viele seiner „Jünger“. Aber dann entdeckt man doch einen Grund, innezuhalten. Seine Schutzfunktion für die Juden, die nach dem Holocaust keine Kraft mehr hatten, ist bemerkenswert. Muss man deshalb seine Zeitungen lesen? Nein. Muss man Interviews geben? Nein. Man darf sie aber lesen (und manchmal sogar loben), weil Pressefreiheit ein Wert an sich ist – und weil man die Hoffnung auf Besserung nicht aufgeben darf.

Wolfgang Storz, 57, Publizist und Medienberater, war Chefredakteur der Frankfurter Rundschau

Muss etwas getan werden, damit Bild-Zeitung und weitere Springer-Medien weniger Käufer finden? Nein. Welt und Hamburger Abendblatt sind harmlos und verlieren Auflage. Die Bild-Zeitung ist weniger harmlos und verliert noch mehr Auflage. Dabei ist sie in Bestform: Mehr Selbstvermarktung, mehr Manipulation ist nicht zu bieten – aber auch in Bestform schrumpft Bild im Selbstlauf. Nur eine Bitte an Journalisten und Politiker: Boykottieren Sie nicht, tun Sie einfach nichts. Sehen Sie in der Bild-Zeitung kein Leitmedium, kupfern Sie Themen und Machart nicht ab. Wer unbedingt will, genieße Diekmann & Wagner als selbstironische Größenwahnsinnige. Aber: nicht ernst nehmen. Es hieße sie misszuverstehen.

Gretchen Dutschke, 70, Aktivistin, Theologin und Witwe von Rudi Dutschke

Jeder hat das Recht, Springer-Zeitungen nicht zu lesen. Ich lese sie nicht. Das ist aber kein Boykott, denn der ist eine politische Kampagne. Als die Bild-Zeitung die Schlagzeile „Rudi Dutschke – Staatsfeind Nr. 1“ herausposaunte, wollte sie ihn außer Gefecht setzen. Nach einer solchen Hetzkampagne hätte sie nicht nur boykottiert, sondern bestraft werden müssen, denn Aufforderung zum Mord ist auch ohne das Wort Mord eine Straftat. Heute ist Springer vorsichtiger, meist gerade unterhalb der Grenze zur Straftat. Sie hetzen gegen Hartz-IV-Empfänger, Muslime, gegen „Sozialisten“ und Migranten. Aber Aufforderung zum Mord ist das nicht. Deswegen gilt Meinungsfreiheit – ein demokratisches Grundrecht.

Peter Gauweiler, 62, ist CSU-Politiker und war Kolumnist bei Welt und Bild-Zeitung

Aus dem Mund von Alt-68ern ist die Frage eine ziemliche Unverschämtheit. Schließlich ist der Gründungsmythos der 68er – die Anti-Springer-Kampagne als moralische Antwort auf die Vorgänge um den Tod des Studenten Benno Ohnesorg – nicht mehr darstellbar, ohne zu erwähnen, dass Ohnesorgs Mörder Kurras Stasi-Agent war. Springer gehörte zu den Menschen, ohne die der Westen nicht durchgehalten hätte, bis Gorbatschow kam. Die taz, die bei einem Sieg der DDR keine Chance gehabt hätte, sollte sich bei Springer bedanken.

Hans-Olaf Henkel, 72, war Präsident des BDI und Kolumnist bei der Bild-Zeitung

Springer boykottieren? Wahnsinn! Hat nicht Axel Springer eisern an der Wiedervereinigung festgehalten, als die taz freudig das sozialistische Experiment unterstützte? Hat er nicht die Hauptverwaltung an die Mauer verlegt, als sich andere Bosse längst in Richtung Westdeutschland davongemacht hatten? Klar gibt es auch in Verlagen irgendwann jemanden, der das ihm anvertraute Blatt missbraucht. Die taz hat darauf eine künstlerische Antwort gefunden, die vor Ort zu besichtigen ist. Ansonsten gilt: Springers 100. Geburtstag wäre Grund für eine Sonderausgabe der taz: „Wir haben uns geirrt!“