Sie rocken Kabul

HEAVY Selbst im Westen brauchen Metal-Bands Mut. Wie erst in Afghanistan! Ein Besuch im Proberaum

VON SAHAR NADI

Wir fahren in einem klapprigen Auto durch Kabul. Aus den Boxen der kleinen Läden am Straßenrand dröhnt laute Bollywoodmusik. Händler in langen Gewändern wirbeln mit Handfächern den Duft von brutzelndem Kabab durch die Luft und unterhalten sich lautstark. Alles hupt. Aus dem Autoradio tönt die sonore Stimme des afghanischen Idols Ahmad Zahir. Dass der Sängerstar bereits seit über dreißig Jahren tot ist, tut seinem Ruf keinen Abbruch. Die Sehnsucht der Afghanen nach den revolutionären Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre ist groß, versuchte doch das Land zu jener Zeit erstmals, die unterschiedlichen Stämme unter der Flagge einer Republik zu vereinen. Sogar das Dogma der Untrennbarkeit von Religion und Staat stand zur Disposition. Eine Idee, die Selbstbestimmung und Gleichheit versprach, aber scheiterte.

Unser kleiner Toyota kämpft sich mit zerbrochener Frontscheibe über die ungeteerten Straßen, durch riesige Schlaglöcher und Pfützen, die schlammigen Teichen ähneln. Das Land hat einen harten Winter hinter sich. Draußen ist es bereits dunkel geworden. Der Fahrer biegt in eine Seitenstraße ein und hält vor einem Eisentor. Die Gasse wirkt abweisend und verlassen. Nur einige Streuner suchen in den umherliegenden Müllhaufen nach etwas Essbarem.

Harte Riffs einer Bassgitarre dringen leise durch das Tor auf die Straße, ungewohnte Töne in dieser erzkonservativen Stadt. Mit einer Kippe in der Hand öffnet Pedram Foushanji, Drummer von District Unknown, der ersten Heavy-Metal-Band Afghanistans, einen Spaltbreit das Tor. Auch zehn Jahre nach dem Fall der Taliban steht es nicht gut um die Sicherheit des Landes. Wer abseits des Hauptstromes schwimmt, lebt gefährlich.

Gemächlich schreitet Pedram über den dunklen Hof zu einem winzigen, erhöht gelegenen Proberaum, der an einen Gauklerwagen aus dem Mittelalter erinnert. Spärliche Beleuchtung, blutrote Stoffwände, der Boden ist übersät mit Kabeln, Musikequipment, leeren Trinkflaschen und dem einen oder anderen alten Turnschuh. Die Band ist mitten in der Probe. „Tagsüber haben wir leider keine Zeit dafür. In Afghanistan kann niemand nur von seiner Kunst leben.“

Masken zur Sicherheit

Der ernste Pedram, dessen blauer Hemdkragen ordentlich unter dem weißen Pullover hervorlugt, setzt sich wieder hinter sein altes Schlagzeug mit angeknackstem Crash- und zerbrochenem Ride-Becken. Sein Bruder Qasem, ein großer, hagerer Mann mit Ziegenbärtchen, ist da schon wesentlich legerer gekleidet. Der Bassist und Sänger der Psychedelic-Metal-Band kann sich als bildender Künstler eher die zerschlissenen Jeans leisten als seine Bandkollegen.

In ihren Anfängen vor drei Jahren trugen District Unknown bei ihren Auftritten Masken, genau wie ihre Helden, die US-Band Slipknot, jedoch nicht als Kunstgriff, sondern als Sicherheitsmaßnahme: „Nur weil viele Metal als Musikstil nicht verstehen, haben sie uns als Satanisten und Antireligiöse abgestempelt, uns sogar bedroht.“ Lange Zeit waren nur nahe Verwandte und Freunde in ihr musikalisches Treiben eingeweiht. Bis vor Kurzem trugen sie noch langes Haar, schminkten sich auf ihren Gigs im Untergrund Kabuls. „Wir haben doch niemandem etwas getan!“, sagt Qasem, „wir wollen unsere Musik ausleben und nutzen dafür jede freie Minute! Wir brauchen Metal, um all den Frust, all die beißenden, kleinen Würmer in unserem Innern loszuwerden.“

Und der Gitarrist Qais Shaghasi erzählt: „Es ist sehr schwierig, sich in unserem Land als Rocker zu etablieren. Wir haben auch schon häufiger richtige Probleme deswegen bekommen und mussten uns verstecken.“ Kabuls Einwohner seien nur wenig tolerant. Qais hat nie etwas anderes kennengelernt. Im Gegensatz zu den Brüdern Foushanji, die zu Kriegszeiten in den Iran flüchteten, lebt er schon von Geburt an in Afghanistan.

Nach ihrer Teilnahme am Sound Central Festival, dem ersten afghanischen Rockfestival im Sommer 2011 in Kabul, verbesserte sich die Situation der Szene ein wenig. Noch einmal Qais Shaghasi: „So etwas hatte es vorher nicht gegeben. Erst als wir die afghanische Thrash-Metal-Band White Page ohne Vermummung auf der Bühne sahen und mitbekamen, wie frei sie sich bewegten, Head- und Bodybanging inklusive, legten wir unsere Masken ab.“

Sie lachen viel, reden laut durcheinander. Es ist ein abschätziges, aber auch etwas nervöses Lachen, befreit klingt es nicht. „Nicht einmal im Westen ist unsere Stilrichtung besonders populär“, wirft Pedram in die Runde. „Da Progressive oder Psychedelic Metal vom Wesen her unstrukturiert ist, möchten wir damit vor allem Musikkenner ansprechen, die Lust auf Unvorhersehbares haben.“ Ihre Texte spiegeln die Trostlosigkeit, Melancholie, aber auch Wut über den Alltag in Afghanistan wider. So heißt es etwa in dem Song „Dying Bride“: „Überall sind Farbenhändler, sie alle vertreiben den Schein / Mein Herz blutet für das Glas, sie verkaufen statt seiner Steine / Ihre verführenden Blicke stehlen hinterlistig unsere leichtgläubigen Herzen / und verkaufen diese nur allzu gern weiter.“

Noch, da ist sich Pedram sicher, ist die afghanische Gesellschaft nicht bereit für ein so hartes, düsteres Genre: „Jetzt ist eher die Zeit für Bands wie Oasis oder Linkin Park. Unserer Meinung nach muss erst einmal die populäre Musik gehört und verdaut werden, bevor die Afghanen zu unserer Stilrichtung greifen.“ Es gebe auch schon heute wesentlich weichere Rockbands wie die Indierocker von Kabul Dreams oder die Bluesrockband Morcha, die über weitaus mehr Fans verfügten – schon aufgrund ihrer Nähe zur afghanischen Folklore.

Angst vor dem Jahr 2014

Die afghanische Metalszene ist dagegen derzeit eher das Terrain für Expatriates und aus dem Westen Zurückgekehrte. Doch da sind District Unknown eisern: Für mehr Popularität sind sie in keinem Fall bereit, Musik oder Texte zu ändern. Sie selbst langweilt die eintönige Machart afghanischer Popmusik, und sie setzen auf Experiment und Selbstentwicklung. Pedram: „Wir haben noch nichts veröffentlicht, weil wir uns erst mal weiter verbessern wollen. Wir hoffen, in einem Jahr so weit zu sein.“

Doch ein Jahr im Voraus zu planen, fällt den jungen Musikern schwer. Sie fürchten sich vor dem Jahr 2014, wenn die ausländischen Truppen das Land verlassen. Es werde, so ihre Angst, das Jahr ihrer Apokalypse sein. Schon heute bereitet sich die Stadt vor. Neu erbaute Wohnhäuser werden mit blickdichten Fenstern versehen, Immobilienpreise fallen. Die Angst vor einer neuen Taliban-Ära ist allgegenwärtig. Man führt seit Monaten Verhandlungen mit ihnen, im Parlament werden extrem konservative Stimmen laut.

Ob sie schon mal überlegt hätten auszuwandern? „Wir alle wären gern im Ausland, aber nicht einfach nur, um Afghanistan hinter uns zu lassen. Unsere Musik, unsere Denkweise, das wird hier nicht verstanden. Wir haben viele Freunde auf Facebook, aber es sind kaum Afghanen darunter“, Pedram lächelt traurig. „Es ist, als ob wir uns in einem winzigen Raum bewegen mit unendlich hohen Wänden. Abgegrenzt vom Rest der Menschen hier. Wenn wir das Land verlassen, dann nur, um unter mehr Gleichgesinnten zu sein.“

Ihr Ehrgeiz und Durchhaltevermögen verlangen jedem Beobachter Respekt ab, gleich ob Metalfan oder nicht. Trotz aller Widrigkeiten stehen District Unknown in einem Land für ihre Musik ein, das seinen Künstlern weder Meinung noch Freiheit zugesteht. Wir steigen wieder in unser klappriges Auto und passieren mehrere Checkpoints mit bewaffneten Polizisten, die müde an ihrem Posten stehen. Sogar in der Dunkelheit ist zu erkennen, wie die Überreste des harten Winters dem nur langsam erwachenden Frühling weichen.