500 Polizisten räumen 1 Haus

Auch das letzte Relikt der Berliner Hausbesetzerbewegung muss sich geschlagen geben. Nach langem Streit und erfolglosen Vermittlungsversuchen beendete die Polizei gestern das linke Wohnprojekt in der Kreuzberger Yorckstraße 59 mit Gewalt

AUS BERLIN FELIX LEE

Als gestern gegen elf Uhr die letzten vier Bewohner von Polizisten hinausgeleitet wurden, ging auch das letzte Relikt der Berliner Hausbesetzerbewegung zu Ende. Einige Passanten, die hinter dem Absperrband der Polizei standen, spendeten den Ex-Bewohnern Applaus. Einer erhob die rechte Faust und rief: „Ihr wart tapfer. Der Kampf geht weiter. Die Yorck bleibt“ – in den Köpfen, wird er gemeint haben.

Rund 500 Polizisten waren gestern Morgen im Einsatz, um etwa 150 Bewohner und Sympathisanten aus dem linken Hausprojekt in der Berliner Yorckstraße 59 zu räumen. Es hatte noch nicht einmal begonnen zu dämmern, da rückten gegen vier Uhr die ersten Polizei-Hundertschaften an. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich vor dem Haus weitere, etwa 250 Demonstranten versammelt, um mit Sitzblockaden den Hofeingang zu blockieren. Nachdem sie der dreimaligen Aufforderung des Einsatzleiters, die Hofeinfahrt „unverzüglich“ frei zu machen, ignorierten, setzten die Polizisten Schlagstöcke ein. Wenige Minuten bevor der Gerichtsvollzieher um 5 Uhr eintraf, hatte die Polizei die Sitzblockade aufgelöst. Danach dauerte es noch einmal etwa zwei Stunden, bis die mit Wasser gefüllten Müllcontainer und andere Barrikadematerialien aus der engen Hofeinfahrt beseitigt waren. Gegen 7 Uhr waren die ersten SEK-Beamte im umkämpften Hinterhaus. Am Ende der Räumung bilanzierte ein Polizeisprecher vier Verletzte auf Demonstrantenseite, darunter eine Frau, die wegen eines Schwächeanfalls mit dem Rettungswagen abtransportiert werden musste. „Die spektakulären Häuserkämpfe, wie wir sie aus den Achtzigern kennen, sind wohl vorüber“, freute sich der Polizeisprecher.

Der gewaltsamen Räumung ging ein fast einjähriger Mietstreit mit dem Hauseigentümer voraus. Im Frühherbst 2004 hatte der Hamburger Immobilienspekulant Marc Walter das Gebäude für 1,5 Millionen Euro erworben und wollte die Miete verdoppeln oder alternativ das Objekt für 2,5 Millionen Euro wieder verkaufen. Nachdem die Nutzer die erhöhte Miete nicht zahlten, kam es zur Räumungsklage. Monatelange Verhandlungen zwischen dem Eigentümer und den Bewohnern führten selbst dann zu keinem Ergebnis, nachdem sich Bezirksregierung und zahlreiche Vertreter der Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses und des Senats in den Streit eingeschaltet hatten. Am Freitag standen die Verhandlungen dann doch kurz vor einem Ergebnis.

Über den städtischen Liegenschaftsfonds hatte die Senatsinnenverwaltung den Bewohnern ein Ersatzobjekt für den symbolischen Preis von einem Euro angeboten, verlangte als Gegenleistung jedoch die Unterzeichnung eines Vorvertrags, worin sich die Bewohner zum freiwilligen Auszug aus der Yorckstraße innerhalb von zwei Wochen verpflichteten. Der Verkaufspreis erwies sich jedoch als Luftnummer, weil der zugesagte Kaufpreis im Vertrag nicht mehr enthalten war. Die Bewohner brachen die Verhandlungen daraufhin ab.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele kritisierte den gestrigen Einsatz als „überflüssig und falsch“. Mit zwei bis drei Wochen mehr Zeit hätte es eine einvernehmliche Lösung gegeben, die Mieter seien mittlerweile kompromissbereit gewesen. Der Berliner PDS-Politiker Steffen Zillich sprach von einem großen Verlust. Durch eine angebotene Zwischenlösung hätten die Bewohner die Möglichkeit gehabt, mögliche Ersatzobjekte vor dem Kauf zu prüfen und die notwendigen Gutachten erstellen zu lassen.

Mit dem gewaltsamen Aus der Yorck 59 geht eine fast 17-jährige Geschichte eines selbst verwalteten Hausprojekts zu Ende, das sich bis zum Schluss nicht nur darin auszeichnete, die vielen anderen alternativen Wohnprojekte der bewegten Achtzigerjahre überlebt zu haben, sondern bis heute das linke und soziale Szeneleben weit über die Berliner Landesgrenzen hinaus bestimmt hat. Neben der Antirassistischen Initiative (ARI), dem Anti-Hartz-Bündnis und vielen anderen sozialen Initiativen war die Yorckstraße 59 gerade in den Neunzigerjahren ein zentraler Treffpunkt für die außerparlamentarische Linke in der gesamten Republik.