Die Widerständigkeit des Lexikalischen

MEDIEN „Klein-Mexiko“, das unabhängigste Magazin Bremens, widmet sich in seiner neuesten Ausgabe dem Thema „Grenzen“. Es durchforstet Hauswände und Stadtquartiere auf der Suche nach Verbotenem

Kann man in Bremen noch über Wohnquartiere oder gar Gebäude schreiben, ohne sich dem Verdacht der Schleichwerbung auszusetzen? Der Sündenfall des Weser-Kurier, der sich schein-redaktionelle Texte über besonders „tolle“ Objekte und Wohnlagen von Anzeigenkunden bezahlen ließ, hat den Architektur- und Wohnwelt-Journalismus nachhaltig in Misskredit gebracht. Gut also, dass derzeit die neueste Ausgabe von Jan Freys Klein Mexiko auf dem Markt ist. Das ist Bremens unabhängigstes Magazin, gemacht – im Alleingang – von einem Mann, dessen materielle Interessen ziemlich überschaubar scheinen. Die aktuelle Ausgabe ist komplett anzeigenfrei.

Der Germanist Frey ist das Gegenteil eines Besitz- und der Prototyp eines Bildungsbürgers. Neben seinem Job als Zeitungsausträger gibt er Latein-Nachhilfe, im Keller seines Häuschens in der ehemals kommunistisch orientierten Klein Mexiko-Siedlung erstellt er alle paar Jahre ein Magazin, das sich mit dem „Alltag in der Vorstadt“ befasst. Vier Lebensbereiche hat er in dicken Readern bereits abgehandelt: Kinder, Drogen, Alter und Immigration. Dafür stellt sich Frey 12 Stunden an den Sielwall oder dokumentiert minutiös die Tour einer mobilen Altenpflegerin. Diesmal durchstreift er die Stadt auf der Suche nach Grenzen.

Golfgelände haben besonders lange, und an einem dieser ärgerlichen Zäune, die das Grün privilegierter Randwohnlagen durchziehen, hat Frey eine Verbotsorgie samt Hinweis auf Kameraüberwachung entdeckt. Er reagiert mit einer Grammatikanalyse: „Das Wort videoüberwacht ist das Partizip Perfekt Passiv zu einem im Duden nicht aufgeführten Verb videoüberwachen und müsste klein geschrieben werden, wenn es – wie hier – Teil eines Verbs in der dritten Person Singular Indikativ Präsenz Passiv ist.“ So was muss Golfern mal gesagt werden.

Zum Instrumentarium des Bildungsbürgers gehört der enzyklopädische Zugriff. Amtsanmaßende Schilder wie „Fußballspielen polizeilich verboten“ konfrontiert Frey mit dem Althochdeutschen Wörterbuch oder dem Kleinen Stowasser, dem lateinisch-deutschen Schulklassiker. Wer in Bremen nach interessanten Grenzen sucht, kommt um die „Waffenverbotszone“ der Discomeile nicht herum. Man liest sie unweigerlich ex negativo: Wenn man hier zwischen „20 - 8 Uhr“ nicht rumballern darf, was bedeutet das für 19.30 Uhr? Und wie steht’s mit einer gepflegten Messerstecherei, die pünktlich um 8.15 Uhr beginnt? Frey enthält sich solch wohlfeilen Spotts, er kommentiert gewohnt trocken mit den Mitteln des Lexikalischen: Per Duden verweist er auf die Bedeutung des Begriffs „Piktogramm“ – die Verbotszone besticht durch international verständliche Darstellungen von Totschlägern und Taschenmessern.

Frey wiederum besticht durch Reduktion: Allein mit dokumentarischen Fotos und lexikalischen Einträgen gelingt ihm eine spannungsreiche Stadterkundung. Henning Bleyl

Kontakt: www.kleinmexiko.de