Bundesumweltministerin Steffi Lemke: „Ich bin dort verwurzelt“

Steffi Lemke ist die einzige Grüne mit DDR-Hintergrund im Kabinett. Über den Hass auf ihre Partei und die Frage, ob sie eine Entschuldigung von Markus Söder will.

Steffi Lemke verschränkt die Arme vor einer Betonwand

„Sagen Sie mal ein Beispiel.“ – „Natürlich nicht.“ Steffi Lemke am 19. Februar beim Interview mit der taz im Umweltministerium Foto: Jens Gyarmaty

wochentaz: Frau Lemke, bezeichnen Sie sich als ostdeutsch?

Steffi Lemke: Ich habe eine ostdeutsche Biografie. Ich bin in der ehemaligen DDR geboren und tief durch die friedliche Revolution geprägt. Aber ich würde mich heute in allererster Linie als Umweltministerin bezeichnen.

Ist ostdeutsch für Sie noch eine wichtige Kategorie?

Für meinen Geschmack schauen wir zu getrennt auf West- und Ostdeutschland. Die ostdeutschen Wahlen sind in diesem Jahr angeblich diejenigen, wo es sich entscheidet. Aber die Frage von Populismus oder Rechtsextremismus stellt sich weit über Ostdeutschland hinaus.

Viele Menschen, die nach der Wende geboren worden sind, bezeichnen sich trotzdem als ostdeutsch. Woran liegt das?

Mein Sohn ist in Dessau groß geworden und würde sich nicht als Ostdeutscher bezeichnen. Aber viele, die den größten Teil des Lebens in den 90er- und Nullerjahren in den neuen Bundesländern verbracht haben, werden sich vielleicht noch eher ostdeutsch nennen. Aber in den jüngeren Generationen verliert sich das.

Es gibt immer noch relevante ökonomische Unterschiede zwischen Ost und West: bei Lohnniveau, Rente, Vermögen. Wenn 90 Prozent des Wohneigentums in Leipzig Westdeutschen gehört, ist etwas schief gelaufen.

Natürlich, da ist vieles schief gelaufen. So, wie die deutsch-deutsche Vereinigung stattgefunden hat, darf sich ein Transformationsprozess nicht wiederholen. Für viele, die später geboren sind oder nicht aus dem Osten kommen, ist es extrem schwer nachvollziehbar, was sich dort nach der Wende abgespielt hat. In den Neunzigern ist aus meiner Generation die Mehrheit in die alten Bundesländer abgewandert. Dass die Jungen, Flexiblen, die, die mit Mut in die Welt aufbrechen, flächendeckend weggehen, während zu Hause die Industrie abgewickelt wird, hat viele Menschen damals schier verzweifeln lassen. Die Euphorie der Wende ist in sich zusammengebrochen. Das erklärt, glaube ich, auch zum Teil die Instabilität des politischen Systems in Ostdeutschland.

Sie wohnen noch immer in Dessau. Wollten Sie nie weg?

Ich pendele seit langem zwischen Dessau und Berlin. Ich wollte nie weg, ich bin dort verwurzelt.

Die Grünen gelten als Westpartei, sind im Osten unbeliebt, Robert Habeck und Annalena Baerbock sind für manche Hassfiguren. Woran liegt das?

Solchen Hass habe ich bereits in den 90er Jahren erlebt. Der ist nie weg gewesen. Die Bürgerrechtsparteien sind damals für die Massenarbeitslosigkeit und die Abwicklung der Industrie mitverantwortlich gemacht worden, weil wir die friedliche Revolution vorangetrieben haben.

Und heute?

Heute werden die Grünen wohl wahrgenommen als die, die manchmal nerven, die zu viel wollen. Die darauf drängen, dass die Klimakrise weiter bekämpft wird, obwohl viele nach Corona, Krieg und Inflation einfach ihre Ruhe haben wollen.

Sie schaffen es nicht, die Leute mitzunehmen.

Wir müssen stärker in den Blick nehmen, dass nicht alle Menschen dieses Veränderungstempo teilen, es mitgehen können oder wollen, auch wenn die Klimakrise und die anderen Krisen das eigentlich erfordern.

Das heißt, um mal mit dem Heizungsgesetz das prägnanteste Beispiel zu nehmen: Robert Habeck wollte zu schnell zu viel.

Beim Heizungsgesetz hat es handwerkliche Fehler gegeben. Es ist relevant verändert und damit auch im Zeithorizont angepasst worden, ja.

Trifft Sie der Hass auf die Grünen auch persönlich?

Ja, aber das Problem betrifft vor allem die Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Im bayerischen Landtagswahlkampf kam es mehrmals zu Beschimpfungen bis hin zu tätlichen Angriffen auf Stände. Ich schaue auf die Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern und bin wirklich sehr, sehr besorgt, dass der Hass auf die Grünen gezielt weiter geschürt wird. Ich persönlich aber habe in den vergangenen Tagen viel Unterstützung erfahren.

Dank Markus Söder, der Sie mit Margot Honecker verglichen hat?

Ja, tatsächlich. Das war eine geschichtsvergessene Entgleisung. Und dass Herr Söder als Ministerpräsident mit diesem Vergleich ein Mitglied der Bundesregierung diffamiert, ist ein schädlicher Umgang im demokratischen Diskurs.

56, ist Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Zuvor war sie Bundestagsabgeordnete und politische Bundesgeschäftsführerin der Grünen. 1989 hat sie die „Grüne Partei in der DDR“ mitgegründet. Heute wird sie dem linken Flügel ihrer Partei zugerechnet. Lemke ist in Dessau geboren und aufgewachsen, hat in der DDR Melkerin gelernt und als Briefträgerin gearbeitet. Sie ist Agrarwissenschaftlerin.

Erwarten Sie eine Entschuldigung?

Von Herrn Söder erwarte ich keine Entschuldigung. Mir wäre auch tausend Mal lieber, dass er begreift, was es für ein Problem ist, wenn er als Ministerpräsident dazu beiträgt, die demokratischen Institutionen zu delegitimieren und zu verunglimpfen.

Sie haben betont, wie stark Sie die friedliche Revolution geprägt hat. Heute steht die FDP für Freiheit und die Leute sehen die Grünen als Verbotspartei.

Freiheit ist für mich persönlich wie für unsere Demokratie zentral. Ich habe wie Tausende andere auch viel aufs Spiel gesetzt, als ich 1989 gegen staatliche Bevormundung auf die Straße gegangen bin.

Das beantwortet aber die Frage nach der Wahrnehmung der Grünen nicht.

Dass wir als Verbotspartei wahrgenommen werden, hat zum einen damit zu tun, dass wir Probleme, die der Markt nicht regelt, regeln wollen. Dazu braucht es Gesetze, die manchmal mit Verboten gleichgesetzt werden. Und zum anderen erwecken wir manchmal den Eindruck, es immer besser zu wissen. Bei manchen Grünen ist ja tatsächlich eine oberlehrerhafte Attitüde zu verzeichnen.

Sagen Sie mal ein Beispiel.

Natürlich nicht.

Im vergangenen Jahr hat Ihre Partei in Leipzig die 30jährige Vereinigung von Grünen und Bündnis 90 gefeiert und Sie haben dort gesagt: „Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, auf so einer Feier zu sein, die relevant und politisch gewollt ist.“ Das heißt: Solche Feiern musste man machen, wollte man aber nicht.

Der Westen hat sich, nicht nur bei den Grünen, lange Zeit für den Osten nicht wirklich interessiert. Es gab sehr viel Unverständnis. Der Wille, das andere Land zu erkunden, fehlte. Ich hatte als Generalsekretärin häufig solche Veranstaltungen zu organisieren und weiß, wie mühsam das war.

Sind die Grünen mitverantwortlich für die hohen Zustimmungswerte für die AfD?

Natürlich sind wir als Bestandteil der Ampel mitverantwortlich für die Stimmung in unserem Land. Wir dürfen trotzdem nicht den Fehler machen, Populismus oder Rechtsextremismus einer einzelnen Partei oder gar einem einzelnen Gesetz zuzuschreiben. Damit würden wir die Gefahr des Rechtsextremismus verharmlosen.

Studien zeigen, dass weniger als die Hälfte der Ostdeutschen mit der Demokratie im Alltag zufrieden sind. Gibt es dort ein relevantes Problem mit der Demokratie?

Das Verhältnis zum Staat ist für viele Menschen in Ostdeutschland noch durch die DDR geprägt. Sehr viele sahen den Staat distanziert bis ablehnend. Was daran lag, dass staatliche Institutionen nicht für die Menschen gearbeitet haben.

Das empfinden manche jetzt wieder so.

Dieser Parallele widerspreche ich entschieden. Es ist ein fundamentaler Unterschied, in einer Diktatur mit Stasisystem zu leben, oder in einer Demokratie, in der vielleicht nicht alles so funktioniert wie es sollte. Das wird von Rechtsextremisten ausgenutzt, die sich vor allem in den neuen Bundesländern angesiedelt haben.

Sind die Ostdeutschen anfälliger für die autoritäre Verführung?

Diese These, dass die Ostdeutschen anfälliger sind, weil sie angeblich als Untertan erzogen wurden, fand ich schon immer falsch. Träfe das zu, hätte es keine Friedliche Revolution gegeben. Da haben Hunderttausende über Wochen für Freiheit und Demokratie demonstriert.

Aber die AfD hat im Osten doppelt so hohe Zustimmungswerte wie im Westen.

Das ist aber nicht neu. Die DVU mit ihrem westdeutschen rechtsextremen Verleger Gerhard Frey an der Spitze hatte schon 1998 in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl 12,9 Prozent.

Der Politik hat darauf keine adäquate Antwort gefunden.

Es ist ein schwerer Fehler gewesen, dass die Politik Rechtsextremismus in den 90ern, den sogenannten Baseballschlägerjahren, nicht entschieden genug bekämpft hat. Da wurde viel zu lange weg geschaut. Dadurch bekamen Rechtsextreme den Eindruck, sie kommen ungeschoren davon.

Können Demos gegen Rechtsextremismus daran etwas ändern?

Es ist zum ersten Mal wieder sichtbar geworden, dass hunderttausende Menschen für Demokratie, für Freiheit und Rechtsstaat eintreten. Auch in kleinen und mittleren Städten gehen Menschen auf die Straße. In Bitterfeld oder Apolda erfordert das vielleicht auch mehr Mut als in Köln oder Berlin.

Aber wirken diese Demos über den Tag hinaus?

Sie zeigen, dass die Rechtsextremen nicht die Mitte der Gesellschaft repräsentieren. Es gibt Gegenwehr, die lange gefehlt hat. Es ist wahnsinnig wichtig, die Strukturen der Zivilgesellschaft zu stärken, gerade in den Regionen, wo sie dabei sind zu zerbröseln.

Das sollte eigentlich mit dem Demokratiefördergesetz passieren, aber die FDP blockiert.

Es ist ein wirklich ein Problem, dass versucht wird, dieses Gesetz zu diffamieren. Ich war gerade bei der Freiwilligenagentur in Halle, die dringend darauf wartet und genau diese zivilen Strukturen auch im ländlichen Raum unterstützt, die wir so dringend brauchen. Politik muss sich schützend vor das stellen, was Zivilgesellschaft erst ermöglicht.

Viele Po­li­ti­ke­r*in­nen gehen auf die Demos, manche sprechen dort. Drohen die Proteste durch die Politik vereinnahmt zu werden?

Ich demonstriere seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus, es wäre absurd, das jetzt zu lassen. Ich habe in Dessau gesprochen, weil ich vom Veranstalter darum gebeten wurde.

Vom Verhalten der CDU wird bei den Landtagswahlen viel abhängen. Wie blicken Sie auf die CDU in Ostdeutschland?

Wenn der Kompass glasklar sagt, dass mit rechtsextremen Parteien keine Kooperation möglich ist, dann ist das gut. Die CDU ist in Ostdeutschland in einer extrem schwierigen Situation, und das sage ich nicht mit Häme. Für alle demokratischen Parteien gilt es in diesem Jahr, Wähler und Wählerinnen für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat zu gewinnen. Ein Sieg rechtsextremer Parteien würde die Zivilgesellschaft demolieren. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man tatsächlich nicht sagen kann, was man denkt. Die Wahlen in diesem Jahr sind auch ein Kampf um die Demokratie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.