Ach Mama, du bist so eine Feministin

PORTRÄT Nivedita Prasad, von der Heinrich-Böll-Stiftung mit einem Preis ausgezeichnet, leistet Beratungsarbeit für Betroffene von Menschenhandel. Jahrelang musste sie für ihre eigene Aufenthaltsgenehmigung kämpfen

Prasad bringt ihrer Tochter bei, ihre eigene Grenzen zu setzen und diese einzuhalten

VON JOSTA VAN BOCKXMEER

Das Überzeugendste an Nivedita Prasad ist ihre Toleranz. Zu der Legalisierung der Prostitution sagt sie zum Beispiel: „Ich habe viele Frauen kennengelernt, die sich freiwillig für die Prostitution entschieden haben.“ Und: „Wer bin ich, zu entscheiden, was für eine andere erwachsene Frau gut ist.“

Wir treffen uns in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, die ihr Anfang März den ersten Anne-Klein-Preis für ihre Arbeit verliehen hat. Prasad hilft Frauen, so zu leben, wie sie es wollen. Mit dem Verein Ban Ying, wo sie als Referentin arbeitet, bietet sie Beratung für Migrantinnen an, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Davon ist die Rede, wenn jemand unter falschen Versprechungen nach Deutschland gekommen ist. Oft müssen MigrantInnen eine andere Arbeit machen als versprochen oder sie bekommen weniger Geld als in Aussicht gestellt, manchmal sogar gar kein Geld. Wie viele solcher Fälle es pro Jahr gibt, ist nicht bekannt.

Das Wichtigste ist für Nivedita Prasad, dass die Frauen wieder ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Sie fragt ihre Klientinnen, was sie wollen, und hilft ihnen, dies zu erreichen. Die Hilfe kann zwischen einer Unterstützung bei einem Rechtsstreit, Vermittlung an einen Arzt und der Hilfe bei der Heimreise variieren.

Die größte Einschränkung bei der Arbeit von Ban Ying ist das Aufenthaltsgesetz. Prasad vergleicht es mit einer Kette, die die Menschen körperlich zurückhält. In einem Artikel auf der Website der Heinrich-Böll-Stiftung beschreibt sie die paradoxe Situation, die entsteht, wenn jemand wegen einer Erkrankung das Bleiberecht bekommen hatte. „Eine Genesung in solchen Fällen hat notgedrungen die Abschiebung zur Folge“, schreibt sie.

Auch Prasad selbst erlebte diese Kette: Jahrelang lebte sie ohne dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Berlin. Sie wurde 1967 im nordindischen Chennai in eine wohlhabende Singh-Familie hineingeboren. Im Alter von dreizehn Jahren kam sie nach Deutschland, um hier mit ihrer Mutter und dem Stiefvater zu leben. In der Pubertät nahmen ihre Eltern sie mit nach Indien und wollte sie dort gegen ihren Willen zurücklassen. Doch sie drängte auf die Rückkehr nach Deutschland und traf dort eine radikale Entscheidung: Mit sechzehn zog sie von zu Hause aus in ein Mädchenheim.

Was sie damals nicht wusste, war, dass sie erst ein Recht auf eine Aufenthaltsgenehmigung haben würde, wenn sie fünf Jahre mit ihrer Familie in Deutschland gelebt hätte. Es waren aber erst drei Jahre vorbei. Lange hieß es von Seiten der Ausländerbehörde: „Mit achtzehn ist hier Schluss.“ Dann bekam Prasad die Erlaubnis, noch das Abitur zu machen. Danach immatrikulierte sie sich sofort an der Freie Universität Berlin für Sozialpädagogik. Irgendwann hatte sie die acht Jahre in Deutschland gelebt, die für ihre Aufenthaltsgenehmigung notwendig waren.

Auch in der Beziehung zu ihrer Tochter Divya (15), die sie alleine erzieht, pflegt sie die Offenheit, die für ihre Arbeit prägend ist. Divya sagt: „Sie gibt mir sehr viel Freiheit.“ Prasad bringt ihrer Tochter bei, ihre eigene Grenzen zu setzen und diese einzuhalten. Das Engagement der Mutter ist zwischen den beiden zu einem Scherz geworden: „Ach Mama, du bist so eine Feministin!“

Eingeschränkter Blick

Doch zu der weißen feministischen Bewegung hat Prasad ein ambivalentes Verhältnis. „Wenn ich einen Platz in der deutschen Frauenbewegung habe, dann nur als Opfer.“ Es ist der Rassismus, mit dem ihr die Auseinandersetzung fehlt. Dieses Gefühl der Nichtzugehörigkeit verbindet sie mit anderen Feministinnen of Color. Begeistert erzählt sie von dem lebendigen Umfeld, in dem sie während ihres Studiums politisch arbeitete. Sie war Teil einer Gruppe Frauen verschiedenster Herkunft, die Kongresse und Diskussionsrunden organisierten. In dieser Bewegung spielte auch die 1996 gestorbene May Ayim, eine bekannte Feministin of Color und Freundin von Nivedita Prasad, eine Rolle.

Die Erfahrung der Diskriminierung formte die Basis für Prasads wissenschaftliche Arbeit. Trotz des Kampfes, den sie in ihrer Jugend ausfechten musste, konnte sie eine erfolgreiche Karriere aufzubauen. 2008 promovierte sie zu dem Thema „Gewalt gegen Migrantinnen und die Gefahr ihrer Instrumentalisierung im Kontext von Migrationsbeschränkung“. An der Alice-Salomon-Fachhochschule gründete sie den Masterstudiengang „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“.

Orte für die Vernetzung von People of Color gibt es noch immer zu wenig, bedauert Prasad. Im Internet findet sich zwar das Forum Move on up für People of Color, von dem aus auch Tagungen organisiert werden. Nach der politisch aktiven Zeit im Studium hat Nivedita Prasad sich auf ihre Arbeit und die Erziehung ihrer Tochter konzentriert. Jetzt sagt sie: „Ich würde gerne wieder etwas machen.“