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Historiker Zimmermann zu Außenamt-Studie"Man wollte es einfach nicht wissen"

Die Studie "Das Amt" zeigt die Mitwirkung des Auswärtigen Amtes am Holocaust. Moshe Zimmermann, Mitautor der Studie, wundert sich über jahrzehntelange Ignoranz.

taz: Herr Zimmermann, das Auswärtige Amt galt in der Bundesrepublik lange als Hort passiven Widerstands gegen Hitler. Ist das haltbar?

Moshe Zimmermann: Nein, das ist ein Mythos. Das Auswärtige Amt war Teil des nationalsozialistischen Apparats. Es hat am Holocaust mitgewirkt.

Was heißt das konkret?

Man machte sich dort schon früh, 1939, in einem Memorandum Gedanken über das Schicksal der Juden im ganz Europa. Autor war Emil Schumburg, damals Leiter des Judenreferats. Seine Idee war es, den Antisemitismus global so zu verstärken, dass die Welt gemeinsam mit Deutschland nach einer Lösung des Judenproblems sucht. Das Auswärtige Amt ist hier Initiator einer "Gesamtlösung". Bei der Wannseekonferenz 1942, bei der die Vernichtung der Juden endgültig koordiniert wurde, war auch Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt anwesend. Als einer von 12 Teilnehmern.

Dass Figuren wie Franz Rademacher, der nach Schumburg Leiter des Judenreferats war, am Holocaust teil hatten, ist bekannt. Aber das Amt als solches, so das Selbstbild, hielt Distanz zum Genozid...

Der Fall Rademacher ist eindeutig. Von ihm stammt der Plan, alle Juden nach Madagaskar zu deportieren. Aber es gab viele andere, die am Holocaust teilnahmen: Als das systematische Morden begann, waren deutsche Diplomaten überall in Europa daran beteiligt. Sie organisierten und koordinierten die Deportation in die Lager. Das gilt für ganz normale Botschafter, Gesandte, ihre Mitarbeiter, etwa in in Bulgarien, Griechenland und der Slowakei etc. etc.

Es gab also eine aktive Beteiligung aus eigenem Antrieb?

Ja, dass Deutschland eine Großmacht sein muss, in der es keinen Juden mehr geben durfte, war eine allgemein geteilte Ansicht. Nur deshalb funktionierten diese Beamten in diesem System so reibungslos und arbeiteten, aus eigenen Stücken, dem Führer entgegen, wie Ian Kershaw das genannt hat.

Was wusste denn der durchschnittliche Diplomat 1942 über die Vernichtungslager?

Die Berichte der Einsatzgruppen über den Massenmord im Osten durften nicht alle lesen. Doch den meisten Diplomaten war der Plan zur Ausrottung bekannt. Man wusste zwar nicht genau, wann wer wo erschossen oder vergast werden sollte, aber die Tatsache an sich war bekannt. Außerdem hatte das Auswärtige Amt ein Privileg. Man las dort ausländische Zeitungen und Berichte, die bereits 1942 von Massenerschießungen berichteten.

Gab es auch Widerstand im Auswärtigen Amt?

Ja, aber nur in Einzelfällen. Der deutsche Botschafter in den USA quittierte 1933 seinen Dienst. Zwei der Verschwörer vom 20. Juli 1944 stammten aus dem Amt. Es gab auch andere, aber die Dokumentation ist in diesem Fall selbstverständlich schwierig. Doch das waren Ausnahmen.

Ein wichtiger Protagonist war Staatssekretär Ernst von Weizäcker. Welche Rolle hat er gespielt?

Er war eine spannende, komplexe Figur, weder Widerständler noch blutrünstiger Täter. 1938/39 versuchte er in der Tat, den Krieg zu verhindern. Aber er ist auch eine Schlüsselfigur im Apparat, nicht nur Mitwisser, sondern auch Mittäter.

Inwiefern?

Von Weizäcker war eigentlich ein Nationalkonservativer. Seine Einstellungen zur Demokratie, zur Verfassung und auch zu den Juden schuf die Grundlage für eine Zusammenarbeit mit dem NS-System. Deshalb konnte er keine klare Grenze zur radikalisierten Politik der Nazis ziehen. Er schrieb z.B. Stellungsnahmen zur erzwungenen Emigration der Juden nach Palästina - er zog die "Zersplitterung" des Weltjudentums in aller Welt vor. Sein Schreibstil zeigt also, dass er zum Diskurs des Dritten Reiches keine Distanz hatte. Als Jahre später das Reichsicherheitshauptamt anfragte, ob 6.000 französische Juden nach Auschwitz deportiert werden sollen, kam von seiner Seite "kein Widerspruch".

Sie haben sich für das Buch "Das Amt" mit der Zeit von 1939 bis 1945 befasst. Arbeiten im Amt bis 1945 eher Opportunisten oder überwiegend NS-Gesinnungstäter?

Es gibt beides. Opportunismus ist eine oft benutzte Ausrede. Ich habe früher ein Gespräch mit Albert Speer geführt, der einer der mächtigsten Männer im NS-Reich war. Er hat sich auch als Opportunist bezeichnet, um seinen eigenen Anteil an den Verbrechen kleiner erscheinen zu lassen. Viele waren nicht bloß Opportunisten, sondern überzeugte Antisemiten, Rassisten, Anti-Bolschewisten etc. die aus Überzeugung für Großdeutschland kämpften.

Herr Zimmermann, warum hat es 65 Jahre gedauert, bis beweiskräftig nachgewiesen wurde, wie eng die deutsche Diplomatie am Holocaust beteiligt war? Warum erst jetzt?

Das stimmt so nicht. Die wesentlichen Informationen waren schon 1947 beim Wilhemstraßen-Prozess bekannt. Es gab in den 50er Jahren, aber auch in den 70ern detaillierte Informationen, Bücher, die später verdrängt und vergessen wurden. 1978 erschien das Buch von Christopher Browning "Die 'Endlösung' und das Auswärtige Amt", das erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde.

Warum wollten das so Wenige wahrnehmen?

Der Mythos, dass das Auswärtige Amt "anständig" geblieben war, war schon in den 50er Jahren verankert. Das war ganz ähnlich wie beim DFB oder der Wehrmacht. Auch über die Rolle der Wehrmacht im Holocaust war vieles bekannt, aber erst in den 90er Jahren gab es eine wahrnehmbare öffentliche Diskussion und Entmythologisierung. Offenbar ist dies erst mit dieser zeitlichen Distanz möglich. Erst die zweite oder dritte Generation kann sich ein realistisches Bild machen.

So lange die NS-Eliten noch in Amt und Würden waren, gab es keine Bereitschaft sich mit der personellen Kontinuität auseinanderzusetzen?

Im Auswärtigen Amt war der Druck, gewisse Fragen lieber nicht zu stellen, sehr hoch. Es gab viele Akteure mit NS-Vergangenheit, die nach 1945 hohe Ämter inne hatten. Unser Projekt ist ja nur zustande gekommen, weil Joschka Fischer die richtigen Fragen gestellt hat. Muss man Hans-Dietrich Genscher fragen, warum dies nicht früher möglich war.

In den 50 und 60er Jahren näherte sich Israel langsam der Bundesrepublik an - ab 1965 gab es diplomatische Beziehungen. Obwohl man, wie Sie sagen, wusste, mit wem man es im Apparat des Auswärtigen Amts zu tun hatte...

Das ist verwunderlich, das stimmt. Israel hat sich die Sache leicht gemacht. Man hat sich 1961 ganz auf Adolf Eichmann und den Prozess gegen ihn konzentriert. Damit war eigentlich die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus quasi beendet. Eichmann galt als "der Täter", der zweite Mann nach Hitler. Später erregte der Prozess gegen Demjanjuk Aufsehen, der eine völlig marginale Figur war. Für einen Mann wie Rademacher, der eine vergleichbare Rolle wie Eichmann im Holocaust spielte, hat sich in Israel kaum jemand interessiert.

Warum?

Aus Ignoranz, auch aus mangelndem konkreten historischen Wissen. Der Holocaust ist zwar in Israel omnipräsent, nicht aber das Wissen, was genau geschehen ist. Außerdem galt viel zu früh Ben Gurions Satz "Das Deutschland von heute ist ein anderes Deutschland". Es war auch manchmal nicht opportun, zu viel zu wissen.

Herr Zimmermann, hat Sie bei Ihren Recherchen etwas überrascht?

Historiker sind nicht leicht zu überraschen. Gerade bei diesem Thema nicht, bei dem man auf viele Vorkenntnisse zurückgreifen kann. Was mich verblüfft hat, ist insofern am ehesten, wie viel bekannt war und wie viel einfach nicht wahrgenommen wurde. Weil der Mythos vom sauberen Auswärtigen Amt bleiben musste. Was immer wieder erstaunt, ist die Erkenntnis, wie viele scheinbar anständige Leute in diesem System funktionierten.

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