Musik des Aushaltens

DRONE Der Minimal-Music-Begründer La Monte Young führte mit Marian Zazeela den Konzertzyklus „Dream House“ in Berlin auf

VON DIEDRICH DIEDERICHSEN

Marian Zazeela ist eine beeindruckend schöne Frau. Um 1962 bastelte Jack Smith, Urahn des queeren New Yorker Undergrounds, sein atemberaubendes „Beautiful Book“ rund um ihre Schönheit. Jetzt trippelt sie hinter ihrem Mann, La Monte Young, der ihr damals den Umgang mit Smith verboten haben soll, und der gemeinsamen Schülerin Jung Hee Choi durch die Vorhalle der Berliner „Villa Elisabeth“. Gleich werden die beiden Frauen im Halbkreis um den Patriarchen auf der Bühne Platz nehmen. Naren Budhkar wird ungefähr 20 Minuten nach Beginn des Raga Darbari mit seiner Tabla-Begleitung beginnen. Der von zwei Tambouras erzeugte Drone läuft schon lange vor Konzertbeginn und wird auch anschließend nicht aufhören.

Dieser Drone stammt von einer Aufnahme, die La Monte Young und Marian Zazeela in den 1980ern gemacht und 1999 veröffentlicht haben unter Verwendung der Instrumente und im Hinblick auf besondere Vorlieben ihres Lehrers Pandit Pran Nath. Dieser hat Young und Zazeela, aber auch Terry Riley und anderen orientalisierenden Minimalisten in den 1970ern seine unglaubliche Gesangstechnik beigebracht. Mit dieser hat er wohl seit den späten 1930ern eine bestimmte Schule indisch-pakistanischer Musiktradition in eine sprödere, radikalere, langsamere und auch präzisere Richtung getrieben und über das indische Radio prominent gemacht, aber gegen populärere Formen abgegrenzt.

Pran Nath gehört in eine Gharana (Schule) aus Kirana, die sich bis ins späte 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Zazeela und Young haben sich erfolgreich in diese Genealogie eingeschrieben; das heißt, Young hat, denn natürlich sind die Linien dieser Stammbäume, bei denen sich Blutsverwandtschaft und Meister-Schüler-Beziehungen mischen, streng patrilinear. Ein weiter Weg von den Aufbrüchen des Lower-Manhattan-Undergrounds um 1960.

Die Frauen übernehmen

Ohne Frage: ganz tolle Musik. In den ersten 30 Minuten dominieren die lang ausgehaltenen, sich manchmal schichtenweise übereinanderlegenden Töne. Wenn der Chef leiser wird, übernehmen die Frauen. Diese Gruppe nennt sich The Just Alap Raga Ensemble: Just steht für die „just intonation“, die Stimmung der Instrumente nach physikalischen Tonunterschieden, nicht nach der europäischen Schule wohl temperierter „künstlicher“ gleicher Abstände. Alap ist die Anfangsphase eines Raga, in der dieser sich frei und ohne Rhythmisierung entwickelt. Doch langsam treten Phrasierungen entlang von Silbenpaaren auf, die nach circa einer Stunde auch so etwas wie Expression und gar Aggression aufkommen lassen: Frage-Antwort-Strukturen flackern, wie sie auch der Laie aus anderen Raga-Traditionen kennt. Jazz-Freunde haben hier immer schon Verwandtschaften zwischen den zwei improvisierten Musiken gesehen.

Young hat seine Alternative zur westlichen Konzertmusik, an der er seit den 1950er Jahren baut, erst vom Jazz her, dann konzeptuell als eine Musik der Stasis und des Aushaltens angelegt. Doch gegen seine revolutionär gesonnenen Mitstreiter wie Harry Flynt und Tony Conrad wandte er sich bald ganz religiösen Traditionen aus Sufismus und Hinduismus und den Musiktraditionen Pakistans und Nordindiens zu. Young, mit dem Conrad und John Cale seit Jahren in einem Streit um die Urheberschaft der gemeinsamen Musik zwischen 1962 und 1965 liegen, wird von Conrad dem „rechten Flügel“ des gemeinsamen Angriffs auf die wohltemperierte europäische Musik zugerechnet. Ohne Zweifel ist der Mann mit dem Bartzopf ein Neotraditionalist, der sich für seine lebenslange Intervention gegen westlichen Mainstream eine andere, schön alte Kultur als Identitätsplattform geliehen hat.

Früher gab es so etwas häufig: Avantgarde nicht als Neubeginn, sondern als Identifikation mit einem anderen Immerschon. Heute sind solche Moves in die Esoterik-Massenkultur herabgesunken. Seriöse künstlerische Entwürfe wollen sich nicht mehr anderswo eine stabile Otherness konstruieren. Doch – das wäre gewissermaßen der interkulturelle Mehrwert bei Young und Zazeela – zwischen dieser zweistündigen Zauberzeit im Dream House und den alten Mitstreitern aus Manhattan bestehen ähnlich enge Beziehungen wie zu den jahrhundertealten Gharanas aus Hindustan.

Wenn Young in Anekdoten die Meister lobt, die nach einer Radio-Performance noch zwanzig Stunden weiter improvisieren, erinnert das natürlich an die zeitlich unbegrenzten Performances von Jack Smith, ja an Duration als Waffe von ehedem Gegenkulturen und Neo-Avantgarde – aber auch an die geduldige Gemeinde heutigen Drone-Metals .