Im Kreuzberger Wrangelkiez schwelt Unruhe

Nach dem Feuertod eines türkischstämmigen Ladenbesitzers kocht die Stimmung unter den Migranten hoch

„Wenn es nicht im Wrangelkiez, sondern in Zehlendorf gebrannt hätte, wäre die Feuerwehr schneller da und der Mann hätte überlebt“, schimpft der 18-jährige Serdar. Wie so oft verbringt er mit seinen Freunden den Nachmittag zwischen dem Internetcafé und dem Jugendtreff „Pingpong“ in der Oppelner Straße. Doch an diesem Nachmittag ist die Stimmung im Kiez bedrückt und gereizt. Am Mittwochmittag starb hier der 60 Jahre alte Lottobudenbesitzer Bilal Y. beim Brand seines Ladens in der Wrangelstraße an Rauchvergiftung.

Ramiz Posluk aus dem Imbiss „Toros“ war einer der Ersten, die zum Brand eilten. „Ich habe mit einem Feuerlöscher versucht, in den Laden zu gelangen, aber überall stand der Rauch. Wann die Feuerwehr genau kam, weiß ich nicht, aber es hat lange gedauert.“ Dem pflichtet der 62-jährige Detlef Narloch bei. „Als ich die Feuerwehr anrief, wussten die schon Bescheid. Trotzdem hat es bestimmt zehn Minuten gedauert, bis die Polizei kam, die Feuerwehr kam noch später.“ Zu diesem Zeitpunkt versuchte der 17-jährige Deniz zusammen mit anderen und mit Brechstangen und einem Beil in den Händen, die Stahlplatte hinter dem Schaufenster einzuschlagen. „Dann haben wir es durch die Hintertür versucht.“

„Die Feuerwehrleute waren so langsam, als gälte es, eine brennende Mülltonne zu löschen“, sagt die Kioskbesitzerin Sabriye verbittert. Ihr fällt es schwer, zu reden. „Onkel Bilal war ein wundervoller Mensch, hilfsbereit, freundlich, alle im Viertel haben ihn gekannt und geliebt.“

Zwischen ihrem Kiosk und Bilals Lottobude ist ein türkisches Café, wo ein Dutzend Männer Karten spielt. „Warum brauchen die von der Wache in der Wiener Straße bis hierher so lange?“, ruft einer. „Weil das hier das Türkenviertel ist“, sagt ein älterer Mann. Alle nicken. „Wenn sich hier ein paar Jungs schlagen, ist in zwei Minuten eine Polizeikohorte zur Stelle.“

Nicht alle im Kiez unterstellen den Einsatzkräften böse Absicht, doch über die Verspätung sind sich alle einig. Nur die Feuerwehr nicht. „Um 12.25 Uhr ging der Notruf ein, um 12.30 sind die Einsatzkräfte aus der Feuerwache Kreuzberg eingetroffen“, sagt der Feuerwehrsprecher Wolfgang Rowenhagen der taz. „Wir waren in fünf Minuten dort, und das ist eine Superzeit.“ Die Familie Bilal Y. ist davon noch nicht überzeugt. „Wir haben einen Anwalt eingeschaltet und sprechen mit Zeugen“, sagt Bilals ältester Sohn Ünal Y. mit besonnener Stimme, der gemeinsam mit seinen beiden Brüdern ein Plattenlabel betreibt. „Ich will niemanden zu Unrecht beschuldigen. Aber wenn es stimmt, dass die Feuerwehr zu spät kam, und wenn es stimmt, dass sie zu spät kam, weil es sich um Kreuzberg handelte, hätten meine Familie und ich keinen Grund mehr, hier zu bleiben.“

DENIZ YÜCEL