Geteerte Kanzlerworte

Seit der Intervention von Gerd Schröder (SPD) spüren Autobahn-Lobbyisten in Nordost- Niedersachsen Rückenwind: Sie versuchen die A 39 auf Gedeih und Verderb durchzudrücken

Auch ein Job-Wunderwürde die neue Autobahn wohl kaum bewirken

von ERNST SCHÖNBORN

Lobbyismus kann so peinlich sein. Diese Erfahrung mussten führende Köpfe der Lüneburger Industrie- und Handelskammer (IHK) mit ungeahnter Heftigkeit machen, als im historisch edlen Ambiente ihres Hauses der mögliche Trassenverlauf der geplanten Autobahn zwischen Lüneburg und Wolfsburg vorgestellt wurde. Leider geriet der Termin aus den Fugen, obwohl das Niedersächsische Landesstraßenbauamt vorgesorgt hatte: Umweltverbände und Kommunalvertreter, die sich gegen die geplante A 39 ausgesprochen hatten, mussten am Montag vergangener Woche leider draußen bleiben, wo gegen das Projekt demonstriert wurde.

An ihrer Stelle durften Vertreter von VW erfahren, wo künftig das Brot für sie und ihre Zulieferer gebuttert wird: Der Konzern wäre mit der größte Nutznießer der Autobahn, die Wolfsburg ein Stück dichter an die Häfen im Norden der Republik bringen soll. So viel einseitige Parteinahme erboste jedoch selbst Befürworter. „Ob denn,“ fragte nach der Veranstaltung ein Gemeindevertreter mit ironischem Unterton, „die zukünftigen Einladungen zu offiziellen Terminen in Sachen A 39 auch von der IHK kommen würden?“ Wer weiß.

Die schier unendliche und an Peinlichkeiten reiche Geschichte der A 39-Planung begann bereits in den 1930er Jahren. Hitlers Straßenbauer träumten damals von der Piste, die Wolfsburg als Zentrum deutscher Automobilindustrie mit den Häfen der Ostseeküste verbinden sollte.

Der Zweite Weltkrieg begrub das Vorhaben unter Trümmern – aber nicht für immer. Ende der 1960er tauchte die Strecke in den Köpfen ihrer Befürworter wieder auf: Allen voran war es die IHK Lüneburg-Wolfsburg, die sich der Pläne annahm.

1969 wurde der so genannte „Nordland-Autobahn-Verein“ gegründet. Die wenig sensible Namensgebung, die an den Nazi-Jargon erinnert, störte nicht. „Landkreise, Firmen und Einzelpersonen“ taten sich laut Aussage des Vereins zusammen, um dem Projekt neues Leben einzuhauchen. Doch dann kam die Ölkrise – und damit ein erneuter Planungs-Stopp.

Schwung bekam die Angelegenheit erst wieder, als Niedersachsens damaliger Ministerpräsident und späterer Bundeskanzler Gerd Schröder (SPD) sich zum Jahrtausendwechsel für mehr Asphaltkilometer im Nordosten einsetzte: Die A 39, versprach er kernig, wird gebaut. Unglücklicherweise riet aber 1995 eine im Auftrag des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt durchgeführte so genannte „Verkehrs-Untersuchung Nordost“ vom Bau der A 39 ausdrücklich ab. Effektiver und kostengünstiger sei ein Ausbau der Bundesstraßen zwischen Lüneburg und Wolfsburg plus die Konstruktion von Ortsumgehungen. Denn schon damals war der Bau der A 14 zwischen Schwerin und Magdeburg beschlossene Sache: Deren Trasse verläuft auf fast der ganzen Länge parallel zur geplanten A 39. Doch die unbeugsamen Streiter von IHK, VW und dem besagten Autobahnverein pochten wacker auf die Einlösung des „Kanzler-Versprechens“: Kein Wunder, man kennt und schätzt einander. Diplom-Volkswirt Jens Petersen ist Vorsitzender des Nordland-Autobahn-Vereins und Geschäftsführer der Lüneburger IHK. Die Firma VW in Wolfsburg ist der größte Beitragszahler eben dieser Kammer. Und deren Präsident ist Bernd Hansmann. Der Spediteur ist hauptberuflich für die Firma VW unterwegs. Gleichzeitig ist er Vorsitzender des IHK-Verkehrsausschusses. Und auch sein Stellvertreter dort verdient seine Brötchen hauptberuflich bei VW. „Vielleicht genügt es ja, wenn die Piste der Firma VW zugute kommt – schließlich ist das Land Niedersachsen an VW beteiligt,“ vermutet Stefan Kuhlmann. Kuhlmann ist Vorstandsmitglied der „Aktion Lebensberg“, einer der zahlreichen Bürgerinitiativen gegen die A 39.

Von ihren Befürwortern wird die A 39 dagegen als Jobmotor gepriesen – was die Gegner bezweifeln. Zu erwarten sei lediglich eine Art „Krakeneffekt“: An den Rändern der Autobahn siedeln sich Firmen an, die dafür weniger verkehrsgünstige Standorte aufgeben. „Verlierer der Asphaltierungsorgie wäre das Wendland“, vermutet daher der Sprecher der Bürgerinitiative „Lebensberg“, Peter Weerda: „Die rutschen immer mehr ab, werden einsamer, ärmer und menschenleerer.“ Ähnlich sieht es Eckehard Niemann: „Autobahnbau ersetzt keine vernünftige Regionalplanung“, so der Sprecher des Dachverbandes der A 39-Kritiker. Das Vorhaben sei „Ausdruck der Konzeptlosigkeit bestimmter Politiker“.

Aber selbst bei denen droht die Stimmung nach dem verpatzten Planungsauftakt in der vergangenen Woche zu kippen. So verlangte Lüneburgs Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD), bislang Autobahnbefürworter, nach der ersten Präsentation möglicher Trassenverläufe die Einbeziehung neuer, bisher nicht untersuchter Regionen in die Planung. Dass der Behördenleiter des für das Planungsverfahren zuständigen Landesstraßenbauamtes in seiner Präsentation über „Belastungen auch für die Lüneburger Bürger“ durch die Trasse der A 39 orakelte und „den Abriss bereits bestehender Wohnhäuser“ für den Autobahnbau nicht ausschließen wollte, hatte dem Lüneburger Stadtoberhaupt, das im kommenden Jahr wiedergewählt werden möchte, wohl missfallen. Aber auch andere kommunale Würdenträger zeigten sich verstimmt: „Da verbieten wir aus Naturschutzgründen den Bau weiterer Windkraftanlagen am Ortsrand unserer Gemeinde, und die knallen uns dafür eine neue Autobahn vor die Tür,“ schimpfte der Ortsbürgermeister einer Stadtrandgemeinde.

Dass sich im allgemeinen Murren eine eigens angereiste Staatssekretärin aus dem Bundesverkehrsministerium „über den Rückhalt“ freute, „den die A 39 in der Bevölkerung hat“, dürfte die Demonstranten vor den Türen der IHK eher amüsiert haben: „Weg mit der Kanzler-Autobahn“ war auf einem ihrer Transparente zu lesen.