Geisterstädte

SUBVENTIONSKULTUR Gelder aus Steuern und Gebühren finanzieren TV-Studios, die niemand braucht

Die Branche agiert kaum kostendeckend. Dass es sie in der Form noch gibt, verdankt sie dem Steuerzahler

VON WILFRIED URBE

Verlassen die Glashalle, in der einst Helmut Thoma und Konsorten rauschende Feste feierten, die große Livebühne, die 13 TV-Studios, in denen Klassiker des kommerziellen Fernsehens wie „Der Preis ist heiß“, „7 Tage, 7 Köpfe“ oder „Das Amt“ entstanden. Das 100.000 Quadratmeter große Gelände in Hürth-Kalscheuren bei Köln, wo einst die Wiege des deutschen Privatfernsehens stand, wirkt heute wie eine Geisterstadt. Selbst das blaue Einhorn, das als stolzes Symbol der Magic Media Company (MMC) weithin sichtbar auf einem Turm thronte, ist verschwunden. Die Betreibergesellschaft habe den Mietvertrag an den langjährigen Mieter MMC nicht verlängert, hieß es offiziell. Der wahre Grund: Das Studiogelände war unrentabel geworden – so wie fast alle großen Film- und TV- Studiokomplexe in Deutschland kaum rentabel arbeiten können.

Im Wettbewerb der Standorte untereinander sind mit öffentlichen Mitteln zu viele Produktionshallen entstanden, und die unterbieten sich mittlerweile gegenseitig mit derartigen Dumpingpreisen, dass die Branche mit einem geschätzten Jahresumsatz von mindestens 150 Millionen Euro im Jahr schwerlich kostendeckend agieren kann. Dass sie überhaupt noch in dieser Form existiert, hat sie letztlich den Steuer- und Gebührenzahlern zu verdanken. Die großen Studiobetreiber indessen liegen miteinander im Clinch und werfen sich gegenseitig dieselben geschäftsschädigenden Praktiken vor.

In Berlin hat besonders der Weggang von Sat.1 bei den Studios Leerstände hinterlassen. In Verbindung mit den Überkapazitäten eine existenzgefährdende Kombination. „Ich würde mir wünschen, dass sich wieder Preise einpegeln, die die Kostensituation widerspiegeln. Jeder Studiobetreiber sollte sich auf eine Untergrenze festlegen“, fordert Nick Zimmermann, Geschäftsführer der Park Studios in Potsdam. Er kritisiert die Praxis, Studiobetriebe staatlich zu subventionieren. Möglichkeiten gibt es da einige, etwa über die Film- und Wirtschaftsförderungen an den jeweiligen Standorten. Beispielsweise bewilligen Institutionen der jeweiligen Länder Zuschüsse zu Produktionen, die dann im Gegenzug in den Studios dieser Länder produziert werden müssen. Oder die Landesregierungen lassen Steuergelder fließen, mit denen weitere Hallen gebaut werden können. Besonders die Aktivitäten der NDR-Tochter Studio Hamburg/Berlin, die auch in Berlin weitläufige Produktionsstätten unterhält, aber auch die der Münchener Bavaria-Studios, die zur ARD gehören, werden aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Konstruktion von unabhängigen Studiobetreibern als wettberwerbsverzerrend eingeschätzt.

Chancenlos im Wettbewerb

Als zum Beispiel die Produktion „Rette die Million“ in Köln 2010 startete, kochte der Unmut in der Studiobranche hoch. Denn Studio Berlin hatte den Zuschlag erhalten – und eigens eine leer stehende Halle für die ZDF-Show ausstaffiert. „Das kann doch nicht kostengünstiger sein, als bereits hier bestehende Kapazitäten zu nutzen“, jammerte ein ansässiger Studiobetreiber. „Wir sind oft chancenlos, trotz marktgerechter Preise.“

Daher atmete die gesamte Branche in Deutschland erst mal auf, als die MMC zum Anfang dieses Jahres ihren Betrieb in Hürth einstellte und so Überkapazitäten abgebaut wurden. Aber auch bei der MMC ist man über die Schließung des Hürther Standorts nicht sonderlich betrübt. Denn dadurch dürfte der noch existierende Studiokomplex der MMC in Köln-Ossendorf – das Coloneum – attraktiver für potenzielle Käufer werden. Und neue Eigentümer werden dringend gesucht: Der bisherige alleinige Gesellschafter, die Stadtsparkasse KölnBonn, musste Ende 2012 auf Druck der Europäischen Kommission seine Funktion aufgeben – in Brüssel befürchtete man wohl Wettbewerbsverzerrung durch die Subventionen der öffentlich-rechtlichen Bank. Nur durch das Engagement der städtischen Sparkasse konnte die MMC, die in 2011 erneut keine schwarzen Zahlen geschrieben hatte, bisher überleben. Ein neuer Eigner, der nicht zu einer Sendergruppe gehört, erscheint den Kölnern besonders sinnvoll, wie MMC Sales-Direktor Friedhelm Bixschlag betont: „Hier sitzt ja zum Beispiel mit RTL auch ein privater Sender, der sich sicherlich nicht voll und ganz in die Hände von öffentlich-rechtlichen Dienstleistern oder von Dienstleistern, die einem konkurrierenden privaten Sender gehören, begeben möchte.“

Bixschlag kritisiert vor allem den dank Subventionen „freieren Spielraum“, den ein öffentlich-rechtlicher Player wie beispielsweise Studio Berlin bei der Angebotsabgabe habe: „Bei solchen Angeboten können und wollen wir nicht mehr mitgehen.“ Auch aus seiner Sicht würde nur die Rücknahme von Kapazitäten zur Konsolidierung der Marktsituation führen: „Wenn es dann eine gesunde Nachfrage gibt, werden sich die Preise ebenfalls wieder normalisieren – und davon profitieren letztendlich alle Studiobetriebe.“ Der Tadel der Kölner geht klar an Robin Houcken, Geschäftsführer von Studio Hamburg/Berlin. Der hat dafür kein Verständnis und gibt den Rüffel unverblümt an seine Kollegen an den anderen Standorten weiter. Dabei lehnt er die These von einer Studioüberkapazität in Deutschland ab – und sucht stattdessen die Schuld in der Subventionskultur der Branche: „Die MMC Studios in NRW und auch die jetzt in München neu geplante Filmhalle sind so in der Lage, ihre Kapazitäten nicht kostendeckend anbieten zu müssen“, moniert Houcken. „Diese Situation verzerrt den Markt – und setzt eine Preisspirale nach unten in Gang, unter der die gesamte Branche leidet.“

Problem Überkapazitäten

In der Tatsache, dass Studio Hamburg selbst ein Tochterunternehmen des NDR ist, sieht Houcken keinen Wettbewerbsvorteil: „Es sei denn, wir haben ihn uns selbst erarbeitet.“ Er betont: „Wir erwirtschaften nur etwa ein Drittel unseres Umsatzes mit unserem Gesellschafter, den wesentlich höheren Anteil mit privaten Sendern und Produzenten oder Host Broadcastern.“

Auch der wegen der in München geplanten neuen Filmhalle angegriffene Bavaria-Geschäftsführer Achim Rohnke bestätigt die Schwierigkeiten: „Ja, wir haben Überkapazitäten, aber der Preiskrieg spielt sich eher auf der Nordwestschiene ab und betrifft den TV-Unterhaltungsbereich. Wir sind nicht so stark betroffen.“ Er schätzt, dass sein Unternehmen als einziger großer Studiobetrieb in Deutschland rentabel arbeitet, was wiederum von anderen Studiobetreibern bezweifelt wird. Wie alle anderen großen Studiobetreiber schätzt auch der Bavaria-Chef die eigenen Aktivitäten nicht als wettbewerbsverzerrend ein: Zurzeit werden die Showhalle, die kleineren Studios und die existierende bayerische Filmhalle ausgebaut und „in Partnerschaft mit Bayern“ die Bayerische Filmhalle 2 projektiert.

Stefan Hoff, Vorstandsmitglied beim Verband Technischer Betriebe für Film und Fernsehen, der zugleich als Geschäftsführer die unabhängigen Nobeo Studios in Hürth leitet und für 2011 einen Gewinn erwirtschaften konnte, warnt jedenfalls davor, in Zeiten großen Wettbewerbs an der „Existenzbasis“ Einschnitte vorzunehmen: „Wir müssen versuchen, unsere Dienstleistungen auf einem hohen Niveau zu halten“, sagt er. „Mit modernster Technik und gut ausgebildetem Personal. Der Zuschauer sieht, was billig und was hochwertiger produziert wird. Qualität können wir nur gewährleisten, wenn wir in der Lage sind, Mittel für Investitionen zu erwirtschaften.“

Er appelliert an die Branche, gemeinsam über Strategien zur Lösung des Problems nachzudenken: „Natürlich verfolgt jedes Unternehmen seine eigene Agenda, trotzdem kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir auch viele gemeinsame Interessen haben und diese auch gemeinsam erörtern sollten.“

Ob es aber so kommt, bleibt zweifelhaft. Besonders die Landespolitiker haben als Prestigeobjekte jahrelang den Aufbau von Film- und TV-Produktionsstätten gefördert, die heute nur mit öffentlichen Mitteln überlebensfähig sind. Ein Interessenausgleich ist nicht in Sicht.