Schwuchteln, Schlampen, Sch…

Warum sitzt hinter einem im Stadion immer der wohl dümmste Mann der Welt?

„Ha, du Memme! Das will ein deutscher Nationalspieler sein!“

Der Sechsjährige ist HSV-Anhänger. Er war in dieser Saison schon Bayern-Fan, Schalke-Fan und Wolfsburg-Fan. Jetzt hat er aber raus, dass er seiner Familie durch inbrünstig vorgetragenes HSV-Lob die meisten Fan-Artikel rausleiern kann, und schon deshalb ist er schlau und ein Fan vom HSV. So zieht er im Mpenza-Trikot mit Originalstutzen und HSV-Handtuch sowie mit einem Vater im HSV-T-Shirt ins Wolfsburger Stadion ein. Ich bin aus Prinzip in diesem Fall für Wolfsburg, aber ich habe den Fehler gemacht, die beiden ins Sportgeschäft zu schicken, um auch mich für den großen Tag auszurüsten.

„Es gab nur Bayern-Schals, und die wolltest du doch nicht, oder?“, heucheln sie, als sie mit leeren Händen zurückkehren. Ich habe nichts, nur ein grünes T-Shirt, und kaufe deshalb aus Trotz vor dem Stadion dazu einen hässlichen grünen VfL-Schal.

„Ich bin euer menschliches Schutzschild“, prahle ich den beiden noch vor, denn schließlich vertrete ich die Heimmannschaft. Aber als wir unsere Plätze einnehmen, bin ich von Blauen umgeben. „Ich denke, du hast die Karten in Wolfsburg bestellt?“, fauche ich den Vater an, denn ich bin fast die einzige Grüne im Gäste-Fanblock. „Och“, nuschelt der Vater, „verstehe ich auch gar nicht, wie das kommt …“ Neben uns gleich die HSV-Kurve. Früher rief man beim Auflaufen der Gegner noch nach jedem Namen „Na und?“, jetzt brüllen sie gleich „Arschloch!“. Na toll.

Hinter mir sitzt, wie jedes seltene Mal, wenn ich ins Stadion gehe, einer der zehn dümmsten Menschen der Welt. Heute hat er sich mit einem Che-Guevara-Shirt getarnt, deshalb dachte ich kurz, ich sei in Sicherheit. Aber schon, als der Wolfsburger Stürmer Brdaric das erste Mal gefoult wird und umfällt, kreischt Guevara los: „Ha, du Memme! Das will ein deutscher Nationalspieler sein!“ Das Repertoire erweitert sich nicht wesentlich, der Sechsjährige lernt trotzdem etwas: „Schwuchtel, Fotze, Neger, Schlampe!“ Neger sind übrigens nur die schwarzen Wolfsburger, die schwarzen Hamburger sind irgendwie, äh, Hamburger.

Da tut es mir richtig gut, dass Martin Petrov das Einszunull schießt, auch wenn er eine bepisste Memmenschlampe ist aus einer bepissten Stadt, in der genauso bepisste Autos gebaut werden, wie dort bepisst Fußball gespielt wird, bepisster Frauenfußball.

Die Hamburger machen Zoogeräusche, wenn Hans Sarpei einen Einwurf hat. Ich dachte, diese Zeiten wären auch vorbei. Doch irgendwie muss man sich ja wehren, wenn die bepisste Schiedsrichterschlampe mit einem Golf bestochen wurde, der aber andererseits ein so schlechtes Auto ist, dass mir Che Guevara auch nicht erklären könnte, warum sich der Schiedsrichter davon beeinflussen lassen sollte.

Eigentlich wäre das Spiel gar nicht so übel, wenn ich nicht immerzu darüber nachdenken müsste, ob der Richter auf Notwehr erkennen würde, wenn Guevara keine Zähne mehr hat. Aber im Fußballstadion sitzen heißt, seine Affekte beherrschen zu lernen. Jetzt tut mir der HSV bald leid, und einzig Guevara verhindert, dass ich für die Hamburger brülle.

Am Ende ziehen Vater und Sohn leicht geknickt aus dem Stadion. Aus der Traum von der Champions League, jeder schnöde Triumph verbietet sich hier. Der Sechsjährige wird auf dem Heimweg mit einer Pizza getröstet, serviert von einem Italiener, der bedauerlicherweise Wolfsburg-Fan ist, denn alle deutschen Italiener stammen aus Wolfsburg. Da kommt ein zirka zwölfjähriges Mädchen im HSV-Trikot vorbei und ruft dem Sechsjährigen zu: „Ey, du bist mein Freund!“ You’ll never walk alone, der Tag ist gerettet, der Kleine wird wieder munter: „Mama, kann ich deinen Wolfsburg-Schal haben?“ SUSANNE FISCHER