Brüssel schont den Exportmeister weiter

KRISE II Die EU-Kommission beugt sich Finanzminister Schäuble – und blendet deutsche Probleme aus

BRÜSSEL taz | Die EU-Kommission hat Deutschland eine Lizenz zum Exportieren ausgestellt. Der deutsche Exportüberschuss sei für die Wirtschaft in der Eurozone kein Problem, sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn in Straßburg. Er teile nicht die Meinung derjenigen, die den deutschen Überschuss für die wachsenden Defizite in Südeuropa mitverantwortlich machen. „Der Euroraum braucht Volkswirtschaften, die auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähige Produkte anbieten können“, betonte der Finne.

Damit hat sich das unermüdliche Lobbying von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausgezahlt. Hinter den Brüsseler Kulissen hat Schäuble seit Monaten versucht, die neuen EU-Kriterien für wirtschaftliche Ungleichgewichte – also bedenkliche Leistungsbilanzdefizite oder -überschüsse – zugunsten Deutschlands zu verändern. Mit Erfolg: Defizite werden bereits gerügt, wenn sie mindestens vier Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Überschüsse hingegen erst ab sechs Prozent.

Diese Schwelle ist maßgeschneidert für den Exporteuropameister Deutschland. Der von der EU-Kommission bewertete deutsche Überschuss lag nämlich bei 5,9 Prozent – also haarscharf unter der auf Schäubles Drängen extra hoch angelegten Marke. Hätte Deutschland nur ein wenig mehr exportiert, wäre es auf die neue Liste der Länder mit Schieflage gekommen – wie etwa Frankreich, das seit Jahren mehr importiert als exportiert. Insgesamt stehen zwölf Länder auf der Beobachtungsliste. Die Krisenländer Griechenland, Portugal und Irland wurden nicht erfasst.

Auf einem Auge blind

Im Europaparlament stieß die Kommissionsentscheidung auf scharfe Kritik. Die Abgeordneten hatten sich bereits im Herbst über die ungleiche Bewertung von Export- und Importländern beschwert, konnten sich aber nicht durchsetzen. „Der vorgelegte Bericht ist auf einem Auge blind“, kritisierte der grüne Abgeordnete Sven Giegold. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass „Deutschland mit einem Leistungsbilanzüberschuss von 5,9 Prozent ungeschoren davonkommt, während Polen mit 5 Prozent Defizit an den Pranger gestellt wird“.

Erstaunt zeigte sich Giegold auch, dass die EU-Kommission neuerdings Lohnerhöhungen rügt. Eine Verteuerung der nominalen Lohnstückkosten von mehr als 9 Prozent innerhalb der letzten drei Jahre bedeutet in der Lesart der Kommission eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und wird daher beanstandet. Die Tatsache, dass jahrelange Nullrunden die Binnennachfrage schwächen und eine Volkswirtschaft in die Abhängigkeit schwankender Exporte begibt, bleibe außen vor. ERIC BONSE