Ich bin jetzt auch Mutter!

Akademikerinnen bekommen nicht einfach ein Kind, Akademikerinnen müssen erst mal eine schwierige Kopfgeburt bewältigen: Wie integriere ich ein Kind in meine Persönlichkeit? Die neuen Turbomütter von Heidi Klum bis Silvana Koch-Mehrin machen es vor. Mütter sind sexy, Kinder sind cool

VON SUSANNE LANG

Sie sitzen in seriösen Abend-Talk-Shows und bekennen sich: „Wir sagen ja zum Kind!“ Sie lächeln in Staubsauger-Werbespots mit Champagnerglas und kleinem Schwarzen und enthüllen ihr Hausfrauen-Geheimnis: „Ich leite ein kleines erfolgreiches Familienunternehmen.“ Sie strahlen auf den Magazin-Covern der Republik: „Verdammt sexy, dieser Kugelbauch.“ Sie heißen Anke Egelke, Heidi Klum oder Silvana Koch-Mehrin. Sie haben Lebensabschnittspartner, Karriere und Kinder. So viel vorgelebtes Mutter-Sein war lange nicht mehr – zumindest nicht in Deutschland. Zwischen Gebär-Hype und Wirklichkeit klafft jedoch weiterhin ein großes Loch.

Während Renate Schmidt, hauptamtliche Familienministerin, nebenberufliche Vorbildmama, unermüdlich an die jungen, kinderlosen Akademikerinnen (42 Prozent!) appelliert, die arbeiten („Erst mal“!), Karriere machen („Kinder sind ein Hindernis“), und einen Lebensabschnittspartner haben („subjektives Zeitfenster für die Elternschaft“), schieben die Turbomütter den Kinderwagen durch H&M-Filialen, kultivieren Spielplatzfreizeit, sitzen in Cafés. Sie trinken selbst gemachte Zitronenlimonade, blättern in ihren Ringbuchunterlagen – und haben ein Kind. Ein Vorzeigekind, elegant in die Selbstinszenierung integriert. Fürs Café, für H&M, für den schicken Kinderwagen. Für Renate Schmidts Werbeoffensive. Sie tun genau das für Deutschland, was von ihnen verlangt wird, die jungen Turbomamis, vor allem in den urbanen Milieus.

Deutschland braucht viel mehr von diesen Müttern, sagt die Familienministerin – besser gesagt: mehr Kinder aus der gebildeten Mittelschicht. Sagen die Demografen, sagt der Arbeitsmarkt, sagt nun auch der Bundespräsident. Seltsam nur, dass sich diese jungen Akademikerinnen herzlich wenig beeindrucken lassen vom immer umfangreicheren Maßnahmenkatalog der Politik: höhere Erziehungsauszeitausgleichszahlungen. Mehr Ganztagsschulen, versprochen! Keine Kürzung der Elternzeit, Rückkehrrecht zum Arbeitsplatz. Mehr Chancen, bessere Chancen, endlich einmal Chancen für die gebärfähigen Frauen – sie müssen nur Karriere und Kind endlich vereinbaren wollen.

Wenn alle Rahmenbedingungen nun ja, eben nicht verändert, aber zumindest theoretisch im Diskurs radikal reformiert sind, muss die Gesellschaft ran, müssen Images her, muss die Trendmaschine gestartet werden. Mut heißt daher das neue Stichwort der Familienministerin, die Gesellschaft müsse jungen Frauen und Männern Mut zum Kind machen. Zu diesem Schluss kam Renate Schmidt zuletzt vor zwei Tagen, als sie wieder einmal die Ehre hatte, eine der aufschlussreichen Allensbach-Umfragen zur Erforschung der Kinderlosigkeit zu präsentieren – die jedoch nur wieder offenbarte: zu wenig Kinder. Zu wenig Eltern. Daher, so Schmidt, müsse nun dafür geworben werden, dass „zu einem modernen Lebensstil Kinder gehören“. Die Vorhut der neuen Werbe-Turbomütter befindet sich genau auf dieser Mission. Sie zeigen sich überall, nur nicht zu Hause. Sie leben öffentlich vor, wie aus den deutschen Kopfkindgeburten endlich Kids zum Anfassen werden. Die desperate Twen-Wifes sind der angesagteste Trend der Reformrepublik: Vorzeigemütter. Perfekte Working-Lifebalance-Mütter. Aufregendes postpostmodernes Mutterbild.

Mit einem neokonservativen, reaktionären Mutterkult, einer patriotischen Gebärpropaganda hat die neue Faszination für Mütter nur wenig zu tun. Denn faktisch hat die Familienministerin mit ihren 42 Prozent kinderlosen Akademikerinnen nach wie vor ein Problem: Die Zahl der Geburten ist in Deutschland seit den 70er-Jahren nicht merklich gestiegen. Während die Politik mittlerweile parteiübergreifend ein Gebärszenario beschwört, das in bester Sabine-Christiansen-Manier den Untergang der Republik vorhersagt, falls nicht sofort mindestens 2,4 Kinder pro Frau geboren werden, haben sich die kulturellen und soziologischen Parameter verändert: Kinder sind zum begehrenswerten Objekt (und ebenso Produkt) der Ökonomie mutiert, fungieren als „emotionales Kapital“. Gleichzeitig werden sie mit einem symbolischen Lifestyle-Wert aufgeladen, der – für Deutschland – neu ist.

Anleihen für die neuen Mutter-Role-Models borgt man sich vom boomenden „Momismus“ in den USA, der mit Weiblichkeits-Ikone Madonna seinen Anfang nahm: „Das letzte gesellschaftliche Abenteuer, das man heute erleben kann, ist es, eine Familie zu gründen.“ Eine exportfähige Philosophie, die von transatlantischen Topacts wie Heidi Klum auch nach Deutschland getragen wurde. Mitten hinein in jene urbanen Lebenswelten, in denen die Turbomütter dann im Alltag allzu oft mit ihrer Performance scheitern, überfordert sind. Doch selbst dies ist Teil des Momismus, zumindest wie ihn seit zwei Wochen die „Desperate Housewifes“ auch im deutschen Fernsehen leben – Ehe und Kinder sind die Hölle, manchmal. Aber eben: selbst gewählt. Momismus heißt auch, dass über all das geredet wird, was früher einmal „der schönste Schmerz der Welt“ war. Mom darf heute sagen, dass Windelnwechseln nicht immer angenehm ist.

Während jedoch „Momism“ in den USA von reaktionären Kulturkämpfern um Bush politisch instrumentalisiert wird, hat der Mutter-Pop in Deutschland ein liberales Antlitz: Eben kein Indiz für neokonservativen Familien-Traditionalismus, sondern eine Möglichkeit der Distinktion. Mütter sind sexy. Kinder sind cool. Ein Statussymbol, wie es bislang höchstens Auto und Eigenheim für sich in Anspruch nehmen durften. Ein Statussymbol vor allem für eine Mittelschicht, die zunehmend ihre Schwierigkeiten hat, sich abzugrenzen – von irgendwo diffus gefühlt da unten. Von den Vielzahl-Kindergeldschnorrern. Ein Objekt, um das gute, schöne, wahre, erfüllte Leben zu zelebrieren. Ein Kind bei Manufactum – das wäre der ultimative Konsumschlager. Wohl ausgesucht, politisch korrekt, ein wenig hedonistisch, vor allem aber: ein Objekt der Selbstinszenierung und der Selbstverwirklichung, versehen mit edlen Labels wie Laura, Marie und Alexander – am besten mit Umtauschgarantie. Kinder sind Pop.

Muttersein, das ist vielleicht die gute Nachricht, ist endgültig entideologisiert. Die Generation junger Frauen, die Twen-Wifes, haben sich in doppelter Weise emanzipiert: von ihren emanzipierten Müttern, die im Zuge der Studentenbewegung Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit (von Männern und Kindern) als absoluten Maßstab ihrer Lebensplanung durchsetzten. Aus dem „bring mir bloß kein uneheliches Kind nach Hause“ ihrer Großmütter wurde ein „gib bloß deine Karriere, deine Selbstständigkeit nicht auf wegen eines Kindes“ ihrer Mütter. Und nun? Maximale Möglichkeiten. Das ist schlimmer als ein fehlender Kita-Platz.

Aus der Ideologie ist ein Ideal geworden, aus der Utopie jener pragmatische Familientraditionalismus – der mittlerweile sogar systemtheoretisch eingeordnet ist. „Nachwuchs macht Sinn“, so stellt Christian Schuldt etwas lapidar fest in seinem Versuch der Weiterentwicklung von Niklas Luhmanns „Liebe als Passion“. Er erklärt die Renaissance der Familie, mit den Prämissen der passionierten, romantischen Liebe: das Ideal der Selbstverwirklichung in der Liebesbeziehung wird heute auch auf ein familiäres Ideal übertragen. Der Fokus auf Familienprivatheit bildet eine romantische Gegenstrategie zur kalt-rationalen Logik des globalen Arbeitsmarkts.

Genau dies ist das eigentliche Dilemma der jungen Frauen: Ideale leben von der Überhöhung, der Aufladung mit Sinn, ein Kind aber ist eine lebenslängliche Entscheidung, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Die „Liebe in Zeiten maximaler Möglichkeiten“, so Schuldts Untertitel seiner Arbeit, macht aus der Freiheit einen Zwang zur Entscheidung: Kind oder Karriere. Der Rest ist: Überforderung.