Was langsam in den Archiven zu versinken droht

TRANSMEDIALE Am 31. Januar beginnt das Festival für Kunst und digitale Kultur. Einer der als Künstler und Kuratoren Mitwirkenden ist der kanadische Medienkünstler Baruch Gottlieb

Baruch Gottlieb lebt seit über zehn Jahren in Berlin, pendelt zurzeit aber zwischen Berlin und Seoul. Dort wird gerade eine Arbeit von ihm gefertigt: eine 7 Meter hohe, begehbare Riesenmuschel mit Medienfassade an den Innenwänden. Gezeigt wird sie ab Mai auf der Expo, der internationalen Weltausstellung, die in diesem Jahr in Korea stattfindet.

Auf der Transmediale ist Gottlieb mit einer kleineren Arbeit vertreten, einer App für Smartphones. iMine heißt die App – ein Spiel. Der Inhalt: Spieler schlüpfen in die Rolle von Minenarbeitern, die irgendwo in der sogenannten Dritten Welt unter Einsatz ihres Lebens nach den Rohstoffen graben, die für die Produktion moderner Kommunikationstechnologien gebraucht werden, Konfliktmineralien wie Zinn, Wolfram oder Tantal.

„Bei diesem Spiel“, so der Künstler, „kann man nicht gewinnen. Man kann nur versuchen, ein bisschen Geld zu verdienen, die Bewacher bei Laune zu halten und so lange zu überleben wie eben möglich.“ Vorstellen wird Gottlieb seine App im Rahmen eines Transmediale-Workshops, der sich mit dem Thema Resourcen beschäftigt.

„Wir alle wissen“, so Gottlieb über iMine, „dass sich hinter der Hochglanzfassade digitaler Kunst und Kultur eine unglamouröse Realität verbirgt: Wirtschaftskriege, Umweltzerstörung, Sklaverei. iMine untergräbt die digitale Fassade und zeigt das Gewebe fragmentierter Leben, das in ihr gespeichert ist.“

Eine solche App – ist das Kunst? Oder einfach ein „serious game“, das mit elektronischer Kunst nur insofern zu tun hat, als es deren Voraussetzungen reflektiert? Gottlieb ist dieser Unterschied nicht wichtig. „Ich persönlich trenne nicht zwischen Theorie und Praxis. Für mich ist es völlig in Ordnung, wenn Kunst eine Idee veranschaulicht. Wichtig ist mir, dass sie das zeitgemäß, also interaktiv tut und ihre Adressaten partizipieren lässt.“

Gottlieb ist ein technikaffiner Künstler, der selbst programmiert und seine künstlerische Laufbahn im Umfeld elektronischer Medien begann. 1968 in Montreal geboren, hat er Film studiert und mit Videocollagen experimentiert, was er bis heute tut. Videokunst wird er auch auf der Transmediale zeigen, allerdings nicht seine eigene.

Denn Gottlieb ist auf dem Festival auch als Kurator des Archivs präsent. Die Transmediale wird 25, Zeit für einen Rückblick auf ihre Anfänge: Gegründet wurde sie 1987 als Videofilmfestival, als Forum für Filme, die zu experimentell waren, um Platz auf der Berlinale zu finden. Gottliebs Aufgabe als Kurator: das Ausstellen künstlerisch wegweisender Videokunst, die in den Archiven zu versinken droht – weil diese vor Kurzem noch so moderne Kunst gerade aufgrund des rapiden technischen Fortschritts nicht mehr reproduzierbar ist.

Dasselbe gilt für fast jede Form elektronischer Kunst, die sich daher auch kaum verkaufen lässt. Marktkompatibel also ist sie nicht – und wohl nicht zufällig ist „(In)compatible“ der Titel der diesjährigen Transmediale.

Digitale Kunst inspiriert zwar, die Ästhetik moderner Werbung etwa wäre ohne sie kaum denkbar, doch wenn jemand Geld verdient, dann sind das in der Regel die Werber und Verkäufer und nicht die KünstlerInnen.

„Als Künstler“, sagt Gottlieb, „sollte man keine digitale Kunst machen, wenn man Geld verdienen möchte. Das geht überhaupt nur dann, wenn man sie einbindet in kommerziell nutzbare Projekte, in Kunst am Bau zum Beispiel.“

Genau das hat Gottlieb mit seiner Arbeit für die Weltausstellung in Korea getan: 500.000 US-Dollar waren das Budget, und nach Abzug aller Produktionskosten bleibt Gottlieb genug, um in Berlin zwei Jahre lang die Miete zu zahlen – für eine Zweizimmerwohnung in Mitte.

DOROTHEE ROBRECHT

■ Website Baruch Gottlieb: www. g4t.info ■ Transmediale: Eröffnung am 31. Januar. Danach bis 5. Februar täglich im Haus der Kulturen der Welt