Von hundert auf null

Klammheimlich wurde der Berliner Radiosender Hundert,6 gestern geschlossen, offiziell sendet er weiter

Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Farce. Auf dem Berliner Radiomarkt lässt sich dies derzeit an der Abwicklung eines lokalen Senders verfolgen. Protagonist des Stückes, das den ganz normalen Wahnsinn des Marktes, gepaart mit spitzbübischem Handeln, bietet, ist ein alter Bekannter der Berliner Radioszene: Thomas Thimme. 1991 machte er als Geschäftsführer des linksalternativen Senders Radio 100, dessen Einfluss in den 80er-Jahren bis in Ostberliner Oppositionellenkreise reichte, allen Träumen vom nichtkommerziellen Radio ein Ende. Der Sender wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beerdigt, Erbe war ein Mainstream-Sender, der noch heute seine Hörer mit dreisten Moderationen, Werbung und Hits zumüllt.

Gestern Morgen nun schlug Thimme, mittlerweile Geschäftsführer des Senders Hundert,6 mit worthaltigem Kiez- und Kleingartenkolorit, wieder zu: ein Teil der Belegschaft wurde ausgesperrt, zumindest vom Äther. Redakteure und Techniker konnten zwar ihre Studios betreten, gesendet wurde aber längst aus einem anderen Studio – mit ein paar Mitarbeitern, die offenbar wechseln durften. Bereits in den Nächten zuvor seien Geräte aus dem Sender geschafft worden, berichten Mitarbeiter.

„Bis zuletzt haben wir nicht glauben können, dass ein derart skrupelloses Vorgehen nicht nur Stoff für einen spannenden Krimi bietet“, sagte gestern eine sichtlich bestürzte Betriebsrätin Margit Ehrlich in den verwaisten Studios. Seit Thimme vor drei Jahren angetreten sei, habe ein Klima der Angst geherrscht. Die Belegschaft sei von rund 100 auf 40 reduziert worden. Von den verbliebenen würden viele nun auf der Straße stehen – durch einen „Griff in die Trickliste des Wirtschaftsrechts“.

Thimme hat die Mitarbeiter gestern in einem Brief über die Insolvenz des Senders informiert, der in den vergangenen Jahren unter sinkenden Hörerzahlen litt. Die Mitarbeiter forderte Thimme auf, „Ruhe zu bewahren und den Sender aufzuräumen“. Offenbar versuche Thimme, sich der meisten Arbeitsverträge durch Insolvenz zu entledigen, vermutet der Verein Berliner Journalisten. Und fordert die zuständige Medienanstalt der Region auf, die offenbar beantragte Lizenzübertragung auf eine neue Trägergesellschaft zu prüfen und die Bedingung „eines hohen journalistisch geprägten Wortanteils“ nicht aufzugeben. Derweil sendete Hundert,6 weiter – just aus den Räumen, in denen einst Radio 100 residierte. RICHARD ROTHER