Der Teufel hat den Schnaps gemacht

DROGEN Mohnanbau, Knaster, rezeptfreies Speed und Saufen wie nichts Gutes: Welche Rolle Drogen in der DDR spielten, besprach am Donnerstag eine dreiköpfige Expertenrunde in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg

Alles passte an diesem Abend: Am U-Bahnhof Kottbusser Tor bat ein junger Mann um 20 Cent für einen Fahrschein. Er war ziemlich drauf und bedankte sich mit einem „Gott segne dich“. Eine halbe Stunde später, in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, unterhielt sich der Radiomoderator, DDR-Undergroundfachmann und Beat-Poet Ronald „Electric“ Galenza mit Olaf Tost, dem ehemaligen Sänger der DDR-Undergroundband Die Anderen, und Henryk Gericke über Drogen in der DDR.

Der Name der Staatsgalerie Prenzlauer Berg ist eine „Amtsanmaßung“, mit der Gericke auf grassierende prenzelbergische Überhöhungen wie „Winsgärten“ oder „Immanuelkirch-Carré“ reagiert. Außerdem stehe „Galerie“ in der Gaunersprache für „Diebesbande“, betont der Galerist, der an die Zeit vor der Heidelbergisierung des Exszenebezirks anknüpfen möchte.

Wie auch immer. 30 Leute waren gekommen, um dem Fachgespräch zu lauschen, das Galenza mit einem berühmten Heiner-Müller-Zitat eröffnete: „Die Droge ist der Verbündete des Menschen im Kampf gegen die Maschine. Denn Drogen bedeuten Zeitgewinn für das Subjekt, Maschinen bedeuten Zeitverlust.“ Danach erzählte er vom Alkohol in der DDR. Trunkenbolde waren in der frühen DDR als „Trunkenhunde“ bekannt. Da die Trunksucht nicht ins sozialistische Menschenbild passte, war sie lange kein Thema, obgleich gesoffen wurde wie nichts Gutes.

Die größte Schnapsbude

Die Alkoholproblematik wurde erstmals 1981 mit der Polizeiruf-Folge „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ öffentlich verhandelt. Zwischen 1982 und 1989 war die DDR sogar Weltmeister im Trinken: der Bierkonsum lag zwar nur knapp über dem der BRD; in Sachen Schnaps ließ sich der sozialistische Staat jedoch kein X für ein U vormachen: 15,5 Liter Schnaps im Jahr, mithin zweieinhalb mal soviel wie der Westler, trank der durchschnittliche DDR-Bürger im Jahr. Der VEB Nordbrand war die größte Schnapsbude Europas.

1985 bezifferte man die Zahl der Alkoholiker offiziell auf 5.000, ging intern allerdings von 250.000 aus. In zwei gesellschaftlichen Bereichen, Sport und Militär, war Alkohol tabu – mit allen Nebeneffekten der Prohibition: 86-prozentiges Methanol kam hier zum Einsatz. Gern berauschte man sich auch an anderen Dingen, schnüffelte etwa Mittel, die eigentlich dazu dienten, Maschinen zu entfetten, rauchte auf dem Land „Knaster“, eine Mischung aus Hanf und Tabak, und baute ganz offiziell in großem Stil in Thüringen Mohn an, was sofort nach derWende verboten wurde.

Da an die im Westen populären Drogen nicht so leicht ranzukommen war, verlegte man sich etwa in der Punkszene von Berlin-Mitte auf verschiedene Stoffe, die es rezeptfrei in der Apotheke gab – Schlafmittel, Appetitzügler, Psychopharmaka, Speedähnliches – und kombinierte sie mit Alk. Irgendwann gab es auch das Gerücht, dass schwarzer Tee high macht, wenn man ihn viermal aufbrüht. In den 80ern brachte die Loft-Chefin aus Westberlin manchmal Hasch mit. Manche züchteten auch Hanf aus Vogelfuttersamen. Leute aus der chilenischen Community lieferten potentere Hanfsamen. Der Anbau ging ganz gut, da nur die wenigsten wussten, wie Hanfpflanzen aussehen. Kinder von Diplomaten kauften ihre Drogen in Diplomatenkneipen gleich bei der Weltzeituhr.

Es machte viel Spaß, den Referenten zuzuhören, wenn sie allerlei Anekdoten erzählten. „Wir haben unsre ganzen Drogen von dem Schlangenbeschwörer des russischen Staatszirkus bekommen“, erzählte jemand. Es gab auch einen Mann ohne Beine, der in der Prignitz Hanf anbaute und das in seinen Krücken versteckte Marihuana in den 80ern in Westberlin verkaufte. Nach der „Zusammenlegung“ der beiden deutschen Staaten wurden Drogen zwar nicht, wie befürchtet, zu einem Massenphänomen im Osten; viele Ost-Punker sind allerdings gleich heroinsüchtig geworden, einige starben dann.

DETLEF KUHLBRODT