„Nicht frei von Nebenwirkungen“

Günther Jonitz, Vorstand bei der Bundesärztekammer, setzt sich für Qualitätssicherung in der Transplantationsmedizin ein. Mehr Transparenz würde deren Image verbessern - denn das öffentliche Vertrauen in die Transplantationsmedizin hat gelitten

INTERVIEW ULRIKE KOPETZKY

taz: Stichwort Tollwut bei der Organtransplantation: Das Gesundheitsministerium will sich bis 2006 Zeit lassen, eine EU-Richtlinie zur Qualitätssicherung im Spendenprozess in Deutschland umzusetzen. Ist die Bundesärztekammer (BÄK) schneller?

Günther Jonitz: Wir haben bereits Richtlinien, die für Prozessqualität in der Organtransplantation sorgen. Damit beauftragt ist das Bundeskuratorium Qualitätssicherung, das solche Verfahren verpflichtend für alle Transplantationszentren eingeführt hat. Es gibt zurzeit ein Abstimmungsproblem mit der Ständigen Kommission Organtransplantation, die ebenfalls ein BÄK-Gremium ist. Ich persönlich arbeite daran, dass die Qualitätssicherung stärker in der ärztlichen Selbstverwaltung weiterentwickelt wird.

Eine Studie des US-„Institute of Medicine“ nennt Kunst- und Behandlungsfehler in Krankenhäusern als 10. häufigste Todesursache. Gibt es hier auch eine Baustelle in der deutschen Transplantationsmedizin?

Überall da, wo Menschen arbeiten, machen sie auch Fehler, und im Gesundheitswesen haben wir einen Null-Fehler-Anspruch. Selbstverständlich gibt es auch Fehler in der Organtransplantation, sie sind nie völlig auszuschließen.

Wir haben in Deutschland eine geringe Spendenneigung. Berichte über Abrechnungsbetrug oder Korruption im deutschen Gesundheitswesen reißen nicht ab. Ist das Spendenaufkommen Ausdruck eines sinkenden Vertrauens der PatientInnen?

Ich kann das leider nur bestätigen. Das Vertrauen der Gesellschaft in die Ärzteschaft hat in der Vergangenheit gelitten. Das hat zum Teil eher psychologische, aber auch politische Gründe, wie die Verschiebung von Machtpositionen zwischen Politikern, Medizin und Krankenkassen. Es gibt aber auch jede Menge Hausaufgaben, die wir als Ärzte künftig anders und besser erledigen müssen. Die Organspende ist in der Vergangenheit von einem sehr hohen Mythos und einer Grauzone umgeben gewesen. Ich glaube, dass die Organtransplantationsszene hierzulande oder auch weltweit wesentlich besser berufen wäre, wenn sie nicht nur Forderungen stellt, sondern auch wesentlich klarer Rechenschaft darüber ablegt, was und warum sie es machen, für wen und mit welchem Ergebnis.

Die Enquete-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ schlägt in ihrem neuen Zwischenbericht ein Lebend-Spende-Register vor. Darin sollen Komplikationen in den Transplantationszentren dokumentiert werden. Wieso erst jetzt?

Es werden gegen Registermedizin immer noch formaljuristische oder datenschutzrechtliche Gründe ins Feld geführt, die allerdings lösbar sind. Eine Registrierung von krankheitsrelevanten Operationen mit dem Ziel der Ergebnisdarlegung ist in den meisten Transplantationszentren möglich.

Wie sieht es mit der Veröffentlichung der Komplikationen aus?

Auch das Gesundheitswesen ist nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen. Die Veröffentlichung von Komplikationsraten hat erhebliche Risiken, weil die nicht unbedingt aussagen, ob eine Klinik gut ist oder schlecht. Es gibt Einrichtungen, in die Risikopatienten gezielt überwiesen werden, weil diese besonders gut ausgestattet sind. Die Häufung schwieriger Fälle führt dann auch zu einer höheren Komplikationsrate. Es bleibt für uns der Auftrag, Verfahren zu erarbeiten, wie man Rechenschaft über gute Medizin ablegt. Also nicht nur die Selbstauskunft, ich bin der beste Organtransplanteur, sondern ich kann es auch belegen.

Wolfgang Wodarg von der Enquete-Kommission hält ein Drittel der Nierentransplantationen durch Prävention für vermeidbar, zum Beispiel durch besser eingestellten Zucker. Gehört Prävention nicht auch in die Schule oder in die Aus- und Fortbildung von ÄrztInnen?

Prävention gehört elementar zur ärztlichen Ausbildung. Die Prävention ist im Individualfall leider oft wirkungslos. Der Arzt sagt: Sie müssen abnehmen, Sport treiben, aufhören zu rauchen oder weniger Alkohol trinken. Die Patienten tun es oft trotzdem nicht.

Schlecht eingestellter Zucker liegt in der Verantwortung der PatientInnen?

Doch, sicher. Jeder Patient hat Mitverantwortung für seine Gesundheit und der Arzt kann nur das Möglichste dazu beitragen. Wir müssen damit auch in die Schulen rein und Menschen viel früher aufklären, dass sie mit ihrem Organismus und ihrer Seele genauso gut umgehen wie mit ihrem iPod oder ihrer Fernsehbedienung. Der wichtige Punkt beim Thema Prävention ist aber ein anderer: Es ist nicht die Verhaltensprävention, sondern die Verhältnisprävention. Ich muss die Lebensbedingungen so gestalten, dass sie gesund sind. Das heißt: Arbeitsplätze schaffen und das Bildungsniveau fördern. Beide sind für die Gesundheit der Bevölkerung verantwortlich.

Wo liegt die Verantwortung der Ärzte? Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit veröffentlichte eine Studie zum Organhandel. Im Landgericht München I gibt es ein erstes Urteil: Der Täter bot 11 US-Kliniken „gesunde Menschen für 10.000 Dollar zum Verkauf“ an und wollte Hirntote mit Hilfe von Ärzten auf Bestellung liefern?

Das ist genau der Grund, warum wir in Deutschland diesen Bereich strikt regeln, deswegen wenden wir uns gegen eine Ausweitung der Lebendspende, ein Pooling von Organen. Das ist zwar schrecklich aus der Sicht der Betroffenen, aber wenn man da eine kleine Tür aufmacht, dann findet man viele Möglichkeiten, sehr subtil Druck auszuüben und Schuldgefühle bei Angehörigen zu erzeugen. Dass Organe von Toten angeboten werden, im Extremfall auch noch Tod auf Bestellung, sind Informationen, die uns nicht gerüchteweise, sondern als Aussagen aus China, Mexiko und armen Ländern erreichen, wo aus der Not von Menschen ein Geschäft gemacht wird. In Israel ist es offenkundig, deren Ethik kann ich nicht nachvollziehen.

Ist dann strafrechtliche Verfolgung von Ärzten und Pflegepersonal das Mittel der Wahl?

Ich weiß, dass es in Deutschland mindestens einen Fall gibt, in dem ein Transplantationschirurg im Verdacht steht, sich nicht nach den Regeln verhalten zu haben, sodass es justiziabel ist. Man muss diesen Dingen nachgehen, und im Zweifelsfall wird man auf dem Wege eines medienwirksamen Strafprozesses dann die inhaltlichen Grundlagen unserer Transplantationsmedizin noch mal neu diskutieren. Recht gilt für alle, auch für Transplantationschirurgen.