Gespenster aus dem Schattenreich

Eine fiktive Reichsregierung stellt Pässe und Urkunden aus, die vor Behörden schützen sollen. Die verspäteten Reichsbürger gelten zwar eher als Spinner denn als Nazis, dennoch will Sachsen nun offensiver gegen sie vorgehen

DRESDEN taz ■ „Geblitzt“ worden? Es muss nicht unbedingt ein Bußgeld kosten, wenn man zuvor bei der „Pressestelle der Reichskanzlei“ in Magdeburg einen Reichs-Ausweis oder einen Reichs-Führerschein beantragt hat und die Behörden der Bundesrepublik für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht der sächsischen Kleinstadt Kamenz beispielsweise stellte 2002 ein solches Ordnungswidrigkeitsverfahren ein, wenn auch nicht wegen der Berufung auf die Reichsbürgerschaft, wie das sächsische Justizministerium betont.

Hinter der fiktiven Reichsregierung steht ein verspäteter Hauptmann von Köpenick: der ehemalige Beamte der Berliner S-Bahn Wolfgang Gerhard Günter Ebel. Seit Anfang der Achtzigerjahre verficht er die These, dass die Bildung der beiden deutschen Staaten 1949 illegitim gewesen und die Bundesrepublik ein Provisorium sei. US-Behörden sollen ihn demnach als Kanzler einer mittlerweile 22-köpfigen kommissarischen Reichsregierung bestätigt haben. Bürgern, die sich auf seine Regierung berufen, sichert er Immunität, gegen die lästigen Verpflichtungen deutscher Behörden zu.

Um diesen Behauptungen Nachdruck zu verschaffen, kopieren die verspäteten Reichsdeutschen nicht nur vergangene, sondern auch aktuelle Dokumente. So tauchte im Juni des Vorjahres ein gefälschter Brief des Innenministeriums auf, in dem zugesichert wird, „dass von den Bürgern des Deutschen Reiches keine Wasser- und Abwasserbeiträge mehr erhoben werden“.

Gegen die cleveren oder einfältigen Bürger des fiktiven Schattenreiches zeichnet sich nun ein konsequenteres Vorgehen ab. Die Verweigerung einer Grundsteuerzahlung durch den „Präsidenten eines kommissarischen Oberlandesgerichtes“ und gehäufte Anfragen aus den Kommunen veranlassten das sächsische Innenministerium nun, erstmals Verhaltensregeln aufzustellen. Bei Ordnungswidrigkeitsverfahren mit dem Verweis auf die angebliche Nichtzuständigkeit der Bundesrepublik wird künftig ein Staatsanwalt hinzugezogen, teilte das sächsische Justizministerium auf taz-Anfrage mit. Den Verwaltungsbediensteten wird empfohlen, jeden Schriftverkehr auf der Basis von Scheindokumenten und Phantasieurkunden zu vermeiden.

Oberstaatsanwalt Harko Krieg aus Mühlhausen weist auf die Probleme hin, justiziable Delikte von bloßem Unfug zu unterscheiden. „Jede Gesellschaft muss ein gewisses Maß an Spinnerei ertragen.“ Die Gefährlichkeit dieser Spinner bleibt allerdings umstritten. Der pensionierte Reichskanzler Ebel gilt jedenfalls nach mehreren Expertisen als geistig unzurechnungsfähig. „Spätestens seit dem 2-plus-4-Vertrag von 1990, mit dem Deutschland seine volle Souveränität zurückerhielt, ist Ebels These von der Fortexistenz eines Deutschen Reiches hinfällig“, meint der Anwalt und grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi in Dresden.

„Deutschland ist größer als die BRD“, lautet nichtsdestoweniger eine der Kernthesen der „Reichsregierung“. Der Thüringer Verfassungsschutz beobachtet deshalb „vereinzelte Rechtsextremisten im Dunstkreis“. In Sachsen sehen die Verfassungsschützer noch „keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ für politisch extremistische Bestrebungen. Anders verhalte es sich mit der in Sachsen aber inaktiven „Exilregierung des Deutschen Reiches“.

Auch in der NPD geht man auf Distanz. Ihr sächsischer Landtagsabgeordneter Jürgen Gansel, sonst als Scharfmacher bekannt, spricht ebenfalls von „Spinnern“. Gansel räumt allerdings einzelne personelle Verbindungen zu den „Reichsdeutschen“ ein, beispielsweise aus der rechtsextremen „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“.

MICHAEL BARTSCH